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Wo man singt, da laß dich ruhig nieder!
Ein autobiographischer Orts-Almanach in Fortsetzungen
Von Dorothea Nennstiel – Deilmann Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Autorin
Doch erstens kam es anders… Das Jahr 1959 versprach erstaunlicherweise, nach den anstrengenden und unruhigen Ausbildungsjahren in Jena, überaus geordnet und positiv zu Ende zu gehen. Arno, mein Mann hatte das große Glück, in dem renommierten internen Krankenhaus in Ranis seine Facharztausbildung machen zu können und war inzwischen schon zum Stationsarzt avanciert.Unsere kleine Familie mit Kind und großer deutscher Dogge hatte eine geräumige Paterrewohnung in einer schönen Arztvilla mit Garten bezogen und auch ich war beruflich nun zufrieden. Da ich zu DDR-Zeiten als Intelligenzkind selbst nach bestens bestandener Krankenschwesterausbildung nicht zum Medizinstudium zugelassen wurde, hatte ich Germanistik – Pädogogik studiert und mußte durch den Verzug aus Jena das Studium nach vier Semestern abbrechen. Doch diese Doppelausbildung kam mir durch Zufall hier zugute: Ich wurde Lehrschwester für Krippenpflegerinnen und übernahm gleichzeitig deren Berufsschulunterricht. Doch ein schicksalsträchtiger Anruf meines Vaters, damals Werksarzt im Kalibetrieb Merkers, brachte das alles plötzlich ins Wanken: Im benachbarten, allerdings im Grenzgebiet liegenden Kaliwerk Unterbreizbach hatte der Betriebsarzt, der gleichzeitig auch die Bevölkerung medizinisch versorgte seine dadurch sehr gut bezahlte Stelle plötzlich gekündigt, da er sich mit der Werksleitung überworfen hatte. Nun suchte man dringend, aber bisher vergeblich,einen Nachfolger. Arno könne sofort in Unterbreizbach anfangen, und eine Facharztausbildung sowie auch die Fertigstellung seiner Doktorarbeit wäre auch hier möglich. Nachdem sich nach vielen Überlegungen und Erkundigungen, ob und wie so ein abrupter Wechsel überhaupt möglich wäre, herausstellte, daß wir bis zum Jahreswechsel diesen Neuanfang schaffen könnten, entschlossen wir uns dann doch, zwar etwas verunsichert, das für uns große Abenteuer zu wagen. Doch da wir in Ranis noch kaum Wurzeln geschlagen hatten, empfanden wir kaum einen Abschiedsschmerz, sondern als wir am 2.Januar 1960 in unserer alten Heimat Rhön ankamen, eine große Willkommensfreude. Fortsetzung folgt… 1. Fortsetzung Weichenstellung Schon am folgenden Tag mußte Arno , ohne jede Zeremonie, seinen Dienst antreten.Etwa 2000 Kalikumpel, 3000 Einwohner von Unterbreizbach und Räsa, sowie 600 Bewohner des Nachbardorfes Pferdsdorf mußten nun Tag und Nacht und jedes dritte Wochenende von ihm ärztlich behandelt und einschließlich der Vorsorge betreut werden, unterstützt lediglich von einer Arzthelferin, für deren Arbeit er aber verantwortlich war. Die Betriebsambulanz war in einer ehemaligen Direktorenvilla eingerichtet, die durchgehend besetzt war. Eine Laborantin und sieben Pflegekräfte vervollständigten das Betreuungsteam. Eine besondere Vergünstigung und Erleichterung seines Dienstes aber war es, daß ihm das Werk einen PKW mit Fahrer zur ständigen Verfügung stellte. Die Belastung und Verantwortung waren für einen Berufsanfänger natürlich enorm und wir waren froh, daß ich noch zu Hause war und ich bei Bedarf auch mal helfen konnte. Doch der Besuch des hiesigen Schuldirektors Lietz veränderte diese Situation schon bald: Er hatte von meinem abgebrochenen Studium gehört. In Unterbreizbach machte nach dem neuen Schulgesetz das erste Mal eine Klasse 10 im kommenden Schuljahr seinen Abschluß, aber man hatte noch keinen Deutschlehrer. So bot er mir an, den Unterricht zu übernehmen und während dieser Zeit extern in Erfurt mein Studium abzuschließen. Ich war zwar völlig überrascht, aber sagte natürlich sofort freudig zu. Doch danach folgte eine etwas verlegene zweite Frage: „Unsere Schule hat leider auch noch keine Musiklehrerin. Könnten Sie eventuell auch den Musikunterricht übernehmen?“ Nun war mein Glück vollkommen. Musik war schon seit meiner Kindheit wie ein Zauber für mich und gemeinsames Singen in der Familie war für mich der Inbegriff harmonischer Nestwärme.Schon vor der Schulzeit probierte ich auf unserm Klavier und auf einer kleinen Ziehharmonika so lange, bis ich alle mir bekannten Lieder, zwar recht primitiv, spielen konnte. Das war und blieb zusätzlich auch meine Methode, mich über die damals noch kleinen kindlichen Kümmernisse hinwegzusetzen. Inzwischen, seit unserer gemeinsamen Schulzeit während der Klasse zwölf in der Oberschule Bad Salzungen und der Freundschaft mit Arno, meinem musikalisch fast professionell ausgebildeten jetzigen Ehepartner, war die Musik ein wichtiges Bindeglied unserer Beziehung. So hatte ich mich auf seinem Akkordeon auch schon einigermaßen eingespielt, um mit Töchterchen Christiane zu singen. Das war sicher nun auch günstig für den Unterricht. Ich beruhigte also die Sorge des Herrn Direktors ohne große Bedenken mit einem noch freudigeren zweiten „Ja“, welches meinen ganzen weiteren Lebensweg in Unterbreizbach beeinflussen sollte. Fortsetzung folgt … 2. Fortsetzung Mit Musik geht alles besser Da mir im Dorf ja fast alles unbekannt war, wurde schon die Vorbereitungswoche sehr wichtig für mich,um mein neues Arbeitsfeld und das Lehrerkollegium kennen zu lernen und fühlte mich gut hier aufgenommen. Ich war für die Fächer Deutsch und Musik in der Klasse 10 mit zwölf Schülern -, sowie auch als Klassenlehrerin der Klasse 7 mit gerade noch zulässigen vierundvierzig Schülern eingesetzt worden, wobei in meinem Stundenplan die Studienzeit für das Pädagogische Institut in Erfurt brücksichtigt worden war. Zum Schuljahresanfang waren nun außerdem vierundvierzig Elternhausbesuche zu machen,die mir zum Kennenlernen meiner Schüler natürlich ungemein hilfreich waren, und ich mußte einen Elternabend durchführen. Als ich den dann im Sekretariat anmelden wollte, erlebte ich allerdings eine erste Enttäuschung: Ich erfuhr, daß es üblich sei, vor der offiziellen Versammlung die „Genossen Eltern“ einzuladen,zu informieren und ihre Meinung zu erfragen! Doch dann verlief alles problemlos und nach meinen Vorstellungen, nämlich der unbedingten Gleichbehandlung meiner Schüler und auch ihrer Eltern. Jedoch das Vertrauen und die Anerkennung einer Schulklasse kommt nicht von allein.Der Musikunterricht half mir dabei sehr, da gemeinsames Singen ja gefühlsmäßig ganz besonders verbindet, selbst wenn man sich noch garnicht kennt. So bekam ich auch zu meiner übergroßen Klasse 7 bald respektvollen Kontakt und Zuneigung. Arno und ich vereinten nun unsere „ Freizeit-Hobbys“ zu einer lebenslangen Gemeinschaft, um ehrenamtlich, somit ohne jegliche organisatorischen Hürden, Kinderfeste,, musikalisch-literarische Abende oder andere Veranstaltungen durchzuführen, oft unterstützt von der Gemeinde, dem Kaliwerk und vielen selbstlosen Helfern, immer begleitet von Arnos mitreißender Musik. Diese uns bis ins Alter beglückende Gemeinschaft wurde 1967 beruflich noch vertieft.
Die Förderanlage auf Schacht 2 des Kaliwerkes war fertig geworden,und dadurch die medizinische Betreuung der Bevölkerung in der Betriebsambulanz nicht mehr möglich. Für den Ort wurde daher eine „ Staatliche Arztpraxis „ eingerichtet, und Arno konnte sich seinen zukünftigen Arbeitsplatz auswählen. Das bedeutete für uns die Gelegenheit,uns unseren Jugendwunsch zu erfüllen und gemeinsam zu arbeiten. Zwar stand einer solchen staatlichen Einrichtung damals nur eine Hilfsschwester, und diese auch nur für vier Stunden zu ,aber da ich, obwohl ich 1962 meine Lehrerausbildung in Erfurt erfolgreich abgeschlossen hatte und Lehrer gebraucht wurden, für diese Stelle vom Schulamt freigestellt werden würde, entschlossen wir uns , trotz der doppelten und nicht unerheblichen finanziellen Einbußen, zu diesem Schritt. Arno entschied sich also für die Dorfpraxis Die Gemeinde räumte dafür ihr Amtsgebäude,und wir konnten darin nach unseren Vorstellungen und Wünschen die Praxis einrichten und diese am 1.Januar 1967 gemeinsam feierlich eröffnen.
Fortsetzung folgt …
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