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Die Doktersch von Unterbreizbach
Inhaltsverzeichnis I / Dada sucht ihren Weg
Es schien , als hätte die Schulglocke heute einen fröhlichen Unterton , als sie das Ende der letzten Unterrichtsstunde , und damit den Beginn der großen Ferien 1949 , etwas länger als üblich verkündete . Da die Primaner nach ihrem Abitur die Schule schon verlassen hatten , waren die „ Elfer “ nun an die Spitze der Schülerschar aufgerückt und sich ihrer neuen Würde durchaus bewußt , verzichteten sie erstmalig auf laute Freudenausbrüche , sondern nahmen sichtlich erleichtert, da alle die Versetzung geschafft hatten, und die Zeugnisausgabe recht unspektakulär verlaufen war, betont ruhig und glücklich schwatzend für einige Wochen Abschied voneinander. Die Salzunger Schüler waren dann schnell verschwunden, während sich die Fahrschüler Zeit ließen , denn ihr Zug fuhr erst später. Auch Zita und Dada räumten in aller Ruhe ihre erste Bank ,die sie im vergangenen Schuljahr allein belegt hatten. Als Dada vor zwei Jahren von der Vachaer - auf die Bad Salzunger Oberschule wechselte, saß auf dem dritten Platz Reinhard , ein hochmusikalischer Schüler , der auch erst ein Jahr zuvor vom Thomanerchor in Leipzig wieder nach Salzungen zurückgekommen war ,weil der Stimmbruch seine hohe Solostimme verändert hatte. Nachdem Dada wenig später in einer der ersten Lateinstunden ein Zettelchen von ihm, beschrieben mit den beiden bedeutsamen Worten „ amo te !“ auf ihrem Heft vorgefunden hatte, waren die beiden über ihre gemeinsame Musikliebe schnell zu Freunden geworden.In seiner Familie herzlich aufgenommen, begann eine Zeit mit viel gemeinsamer Musik, denn der Vater beherrschte einige Blasinstrumente, und die beiden jüngeren Schwestern, Uta und Sunhild, spielten wie er, sehr gut Klavier. Auch Dada, die sich bisher nur selbst einiges beigebracht hatte , konnte sich jetzt bei seiner ausgezeichneten Klavierlehrein , Frau Schweiß, einiges an Wissen und Können aneignen.Als Reinhard jedoch im nächsten Schuljahr das Klassenziel nicht schaffte und es in einer anderen Klasse wiederholen mußte, blieb sein Platz auf der ersten Bank ein Jahr lang leer. Inzwischen war auch ihre Freundschaft wegen einer Notlüge zerbrochen. Dadurch hatte sich Dada nun noch mehr an ihre Banknachbarin Zita angeschlossen, die als Einzelkind mit ihren Eltern in einer Villa gleich neben der Schule wohnte und die ihr dort ein Zimmerchen zur Verfügung stellen durfte. So konnten beide öfters zusammen lernen, und Dada brauchte nicht mehr täglich nach Hause zu fahren. Sie hatte den Schulwechsel nach Kriegsende eigentlich niemals bereut. Nur ihrem damaligen Englischlehrer, „Abu“ ( Adolf Becker) trauerte sie nach , der neben dem obligatorischen Unterricht auch viele englische Lieder mit den Schülern gesungen hatte, die Dada sorgsam gesammelt, aufgeschrieben und teilweise auch ins Deutsche übertragen hatte. Doch nach der langen Pause zum Kriegsende waren damals viele der vorherigen Lehrer nicht zurückgekommen : Aus Altersgründen , wegen Nazibelastung oder auch durch Verlassen der Ostzone. Auch Dr.Becker war nicht wiedergekommen, ebenso wie die Salzunger Schüler, die wieder in ihre Schule zurückgekehren konnten, nachdem das Lazarett darin aufgelöst worden war . Daher hatten sich viele der Fahrschüler, auch sie selbst, für den Schulwechsel entschieden. Doch würde sie nach den Ferien diesmal überhaupt wieder hier sitzen ? Mit etwas schlechtem Gewissen verabschiedete sich Dada völlig unauffällig, dankbar und mit „ bis bald“ , von Zita und ihren Eltern . Aber ihre Ferienpläne durfte sie ja keinem verraten
2.Kapitel E I N T O L L K Ü H N E R P L A N Inzwischen war es 14.30 Uhr geworden, als Dada in einem der Schichtarbeiterzüge, die sich dreimal am Tag zum Schichtwechsel auf dem Merkerser Bahnhof kreuzten, wieder in ihrem Heimatort ankam . Nun stiegen auch die vielen Kalikumpel des angeblich weltweit größten Kaliwerkes der Salzunger Strecke aus und strömten Richtung Werkseingang , während sich draußen schon die müden Arbeiter der Vorschicht drängten, um einen günstigen Platz für die Heimfahrt zu ergattern, die sie nun bei der Weiterfahrt in die Gegenrichtung nach Vacha oder in die Rhön bringen sollte. So holte sie sich eilig ihre heute mit allem Schulkram vollgestopfte Schultasche aus dem Gepäcknetz, raffte ihr ganzes zusätzliches Gepäck zusammen , um vorher noch ungehindert aussteigen zu können und machte sich anschließend leicht schwitzend, da es sommerlich heiß geworden war, auf den Heimweg . Unterwegs mußte sie dann , innerlich schmunzelnd, an die Zeit ihrer Vachaer Schulzeit denken, wenn sie, von der Gegenseite kommend, bei solchem Wetter ins Dorf einfuhr, vorbei an ihrem Elternhaus und anderen Wohnhäusern, und der Zug mußte vor dem Einfahrtssignal des Bahnhofs halten. Dann flogen die Schultaschen der dort wohnenden Schüler aus den Zugfenstern in den Böschungsgraben, wurden auf dem Heimweg wieder eingesammelt und brauchten dadurch nur eine kleine Strecke mitgeschleppt zu werden. Aber diese kleine Vergünstigung war ja leider heute nicht möglich. Doch als sie schließlich etwas ermattet zu Hause angekommen war und die Haustür öffnete, war die Erschöpfung wie weggeblasen. Die Eltern waren beide daheim und im Sprechzimmer des Vaters beschäftigt, die vier jüngeren Geschwister tobten lautstark im Kinderzimmer herum , Großmutter saß am Küchentisch und war am Obstschälen, die Krake hüpfte neugierig von ihrem Rückzugsgebiet ,dem Küchenschrank, herunter, nur Thula, die große blaue Dogge , sprang, kaum daß Dada eingeetreten war freudig an ihr hoch, legte seine weichen Pfoten auf ihre Schultern und begrüßte sie zärtlich auf ihre Hunde-Weise.Aber nicht lange, da waren alle in der Küche versammelt und jeder hatte erst einmal etwas zu fragen oder zu erzählen. Zuerst aber wurden natürlich Dadas Zeunisse begutachtet : - Recht gut soweit , - und in die zwölfte Klasse versetzt, – das war, wie erwartet, in Ordnung .Aber wie würde es bei ihr weitergehen?Würde sie studieren ? Und was?? Wie?, wo?, und womit? würde sie ihre letzten Ferien verbringen? Darüber diskutierte sie auch am Abend nochmal mit den Eltern: Hast du denn inzwischen immer noch keinen Berufswunsch? Möchtest du nicht doch Arzt wie der Vater werden? Aber so burschikos Dada auch zu sich selber war – bei anderen konnte sie kein Blut sehen, in kritischen Situationen wurde ihr übel und sie fiel in Ohnmacht. Auch wollte sie ihre Kinder später einmal nicht ebenso mit all dem belasten,was sie in ihrer Kindheit immer stark bedrückt hatte - die stete Unruhe im Haus, das laute Geklingel an der Haustür oder vom Telefon Tag für Tag, , aber auch in der Nacht, dazu die aufgeregten Hilferufe zu schweren Unfällen, Erkrankungen oder Geburten. Oft dann aber auch die Angst um den Vater, der nach solchen Hilferufen meistens stundenlang unterwegs war. Besonders nachts konnte sie dann erst wieder richtig einschlafen, wenn sie hörte, daß er sich bei der Mutter, die in dieser Zeit die Bereitschaft übernahm, zurückmeldete. Aber außerdem: Daß sie als „Intelligenzkind“ zum Medizinstudium in der DDR zugelassen würde, war kaum anzunehmen, da die Studienplätze, prozentual der Bevölkerungszusammensetzung angepaßt, meist schon durch die Kinder von den leitenden Ärzten der Krankenhäuser und Polikliniken ausgebucht waren. Diesen dringend gebrauchten Medizinern wurden in Einzelverträgen diese Plätze zugesichert, um ihnen keinen Grund zur Republikflucht zu geben. Und obendrein würde sie kaum ein Bombenzeugnis vorzeigen können ! „Medizin“ also - ein klares Nein ! Dann vielleicht Lehrerin wie die Mutter und ihre Vorfahren? Doch da hatte schon der Großvater, selbst einst wie sein Vater und auch sein Großvater Lehrer und Schulrektor in Essen-Rellinghausen, zu Bedenken gegeben: „ Lehrer? – Da hast du nicht nur Ärger mit deinen zwanzig Schülern, sondern mehr noch mit vierzig Eltern und eventuell obendrein mit achzig Großeltern ! Und zusätzlich: Wenn du nicht bei der gegenwärtigen Regierung rausfliegen willst, - dann wirst du halt bei der nächsten gefeuert . Also, - Lehrer lieber auch nicht ! Allerdings stand da separat noch ein heimlicher Wunsch im Raum, der garnicht so abwegig und unerfüllbar war, geweckt durch ihre große Liebe zu Musik,Gesang und kleinen Aufführungen im Familien- und Schulkreis, nämlich Schauspielerin zu werden.Ein Zufall in der Familie hatte ihr sogar einen Weg dahin vorgegeben; Wanda , die Schwägerin der Mutter, hatte ja Jochen, ihren kleinen Sohn, als im Krieg die Luftangriffe begannen,für Jahre nach Merkers gebracht,und machte danach in Essen erfolgreich eine Gesangsausbildung. Nach dem Krieg, als ihr Mann aus russischer Gefangenschaft zurückkam, ließ sie sich scheiden und wurde Sängerin im Weimarer Nationaltheater. In den vorigen großen Ferien hatte sie Dada nach Weimar eingeladen, wo sie außer etlichen Theaterbesuchen auch bei einem damals sehr bekannten Schauspieler und Schauspiellehrer vorsprechen durfte, mit dem Ergebnis, daß sie sich nach dem Abitur bei ihm melden solle. Doch in diesem Falle machte dann der Vater seine spöttische Bemerkung , ob sie denn auch wüßte , daß eine Schauspielerin nur durch das Bett eines Regisseurs Karriere machen könne ? Dieser Einwurf sorgte natürlich auch für eine gewisse, und nicht gerade unbeabsichtigte Ernüchterung. - Doch dann kam man endlich auf das aktuelle Problem, auf ihren Ferienausflug in den nächsten Wochen, zu sprechen. Der sollte nämlich, da die gesamte Verwandtschaft und alle guten Freunde beider Eltern in Wesrfalen lebten, über die Grenze und Hessen zu ihnen nach dort zum Rhein und an die Ruhr führen.Dafür war alles schon geplant und gut vorbereitet.Auch Dada hatte keinerlei Bedenken. Da sie während der Vachaer Schulzeit des öfteren neben der Werrabrücke gebadet hatte und die Gegend dort bestens kannte, wollte sie jetzt, bei sommerlichem Niedrigwasser, kurz nach Mitternacht durch die Werra nach Philippsthal, also in den Westen gelangen und bei Wunsch und Bedarf auch wieder zurückzukommen. Sie verließ sich auf diese Zeit, weil sie auf die Müdigkeit und die eventuelle Geisterfurcht der russischen Soldaten hoffte. Ihre ältere Schwester Hella, die bereits seit Kriegsende in Jena Medizin studierte, hatte mit ihrer Schulfreundin Agi , mit der sie weiterhin engen Kontakt hatte ,obwohl diese inzwischen in Heimboldshausen nahe bei Philippsthal wohnte, ausgemacht, daß sich Dada nachts bei ihr zwanzig Mark abholen könne , um sich eine Fahrkarte von Phippsthal nach Lüdenscheid kaufen zu können. Lüdenscheid, wo die Schul- und Studienfreundin der Mutter mit ihrem Mann und drei etwa gleichaltrigen Töchtern wohnte, sollte dann für drei Wochen ihr Ferienort werden, von dem aus sie ihre Verwandten besuchen und kennenlernen konnte. Aber interessant für Dada war auch, daß sie von Miss Parlow, ehemals Journalistin und Diplomatengattin in Berlin, deren beide Kinder die Mutter während ihres eigenen Germanistik- und Anglistikstudiums zu Hause in allen Fächern unterrichtet hatte, nach England eingeladen wurde, wo man beispielsweise gerade dringend Stuardessen suchen und ausbilden würde. Jetzt war also nur noch die Frage: Wann?? - Also, sobald das Wetter und die Mondhelligkeit günstig sind, würde es losgehen!
3.Kapitel
Das Wochenende war angebrochen, und ein kühler, wolkenverhangener aber trockener Sommertag dämmerte seinem Ende entgegen. Dada war der Meinung, daß heute endlich der richtige Zeitpunkt für ihr Ferienvorhaben gekommen sei. Mit ihrem schon seit Tagen bereitstehenden dürftigen Reisegepäck machte sie sich auf den Weg zum Bahnhof. Der Abschied zu Hause war vielleicht etwas herzlicher und intensiver als sonst, aber alle waren fest davon überzeugt, daß ihr Plan gelingen würde. Nach zwei Jahren fuhr sie nun mal wieder nach Vacha. Bis Dorndorf mußte sie in dem überfüllten Zug zwar im Gang stehen ,aber hier in der Gegenrichtung brauchte sie nicht Acht zu geben,um einem älteren Mann, sie kannte ihn nicht, auszuweichen, der einmal diese Situation ausgenutzt hatte und es ständig wieder versuchte, sich vor sie zu drängeln, um während der Fahrt unbemerkt und wie Ausversehen mit dem Rücken seiner Faust über ihre Brust zu streichen,sowie ihr im Vorbeigehen flüsternd seine Liebeskünste anzutragen. Aber ebenso fehlten die nach der Frühschicht üblichen Diskussionen der Kumpel, über deren Inhalt sich dann prächtig mit dem linientreuen Geschichtslehrer streiten ließ, Dafür durchzog der widerliche Gestank von Pfefferminztee, den die Männer anstelle des knappen Tabaks in ihren Pfeifen rauchten, das ganze Abteil. Doch daran war sie inzwischen gewöhnt In Dorndorf stiegen dann fast alle aus, um mit der Feldabahn in ihre Rhöndörfer weiterzufahren. Der Zug war nun fast leer und deutsche Grenzsoldaten überprüften jetzt den ganzen Zug und kontrollierten die Ausweise der verbliebenen Fahrgäste. Aber Dadas Schülerausweis und die mitgeführte Schultasche erweckten keinen Verdacht, und bald schon setzte sich der Zug in Richtung Grenz- und Sperrgebiet in Bewegung. Welch ein sonderbares Gefühl, mal wieder am einstigen Schulort Vacha anzukommen! An der Sperre im Bahnhof standen jetzt russische Sodaten, welche nochmal absicherten, daß sich unter den Ankommenden keine ungebetenen Gäste befandent. Es war nun fast 23.oo Uhr , und die wenigen Fahrgäste hatten sich schnell in der Dnkelheit verloren, Noch gut eine Stunde Zeit ! Da konnte sie ja noch schnell einmal an ihrer ehemaligen Schule vorbeischauen ! - Doch dann erstmal unauffällig an der Brücke vorbeilaufen, um nach einem durch dichtes Gebüsch geschützten Plätzchen und nach einem geeigneten Übergang Ausschau zu halten. Die Brücke war hell erleuchtet und abgesperrt, in der Mitte ein kleines Gebäude. Sicher eine Kontrollstelle. Aber hier, wie auch im ganzen umliegenden Gebiet, war kein Mensch, weder mit - noch ohne Unuform, zu sehen . Nun schlug auch die Glocke der nahen Stadtkirche . Mitternacht! Aber vielleicht wäre es besser, noch eine Viertelstunde zu warten. Bis auf das leise Rauschen und Gluckern der vorbeiziehenden Werra und das Bellen eines Hundes in weiter Ferne war nichts zu hören. Der Himmel war verhangen, und außerhalb der grellen Brückenbeleuchtung war es stockdunkel. So machte sich Dada nun in aller Ruhe bereit. Die Badehose hatte sie schon an, Rock und Strümpfe zwängte sie noch in ihre Tasche, und mit Tasche und Schuhen in der Hand stakste sie nach kurzer Zeit vorsichtig, aber ohne Schwierigkeiten vom einen zum anderen Werraufer.und war jetzt , fast unglaublich, in der Westzone, im hessischen Philippsthal. Schnell zog sie sich wieder unauffällig an, damit sie nicht etwa, wovor sie gewarnt worden war ,von der amerikanischen Grenzkontrolle mitgenommen würde ,um nun die Wohnung von Agi zu suchen.Gut, daß man ihr den Weg zu ihr sehr genau beschrieben hatte, und Agi auch direkt an der Hauptstraße nach Bad Hersfeld wohnte. So fand sie schnell und ohne jedes Suchen Heimboldshausen und auch das Wohnhaus, wo sie offenbar schon erwartet wurde. Der Eingang war hell erleuchtet, und sie brauchte garnicht zu klingeln, denn Agi kam schon zur Tür und hatte auch das Geld schon bereit liegen. Ihr Angebot, bei ihr zu schlafen und erst am Morgen los zu fahren, lehnte Dada jedoch dankend ab.Sie wollte lieber weiter bis nach Hersfeld laufen und erst von dort mit dem Zug fahren. Mit dem von ihr bekannten Wandertempo lief sie nun frohgemut durch die Nacht gen Hersfeld und freute sich, das für sie so kostbare Westgeld etwas einsparen zu können.Als sie unterwegs an Häusern und Schaufenstern vorbei kam, fühlte sie sich staunend plötzlich in ihre Kindheit zurückversetzt: Hier standen Niveacreme, Palmoliv-Seife und Kölnisch Wasser, auch Fewa und Persil-Waschpulver sowie viele andere Kostbarkeiten ,die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, in bunter Vielfalt hinter den Scheiben. Doch als sie an einer Bäckerei vorbei lief, deren betörender Duft sich bis nach draußen auf die Straße ausbreitete, hielt sie das erste Mal inne. Sie hatte inzwischen tüchtig Hunger bekommen, und die ausgestellten Leckereien waren gar zu verführerisch, - auch hätte sie ja nun sicher etwas Geld übrig.- Über ein kleines Treppchen gelangte sie in den Verkaufsraum, der zwar unverschlossen, aber in dieser frühen Morgenstunde noch völlig leer.war. Eine junge Frau war am Einräumen von Gebäck, die sie vorsichtshalber aber fragte: „Könnte ich mir vielleicht jetzt schon was kaufen?“ , und fügte dann schüchtern hinzu: „ Geld habe ich zwar, - aber ich habe heute keine Brotmarken dabei!“ Ein kurzes Stutzen, dann die lachende Antwort: „ Na klar, - aber du kommst wohl aus der Ostzone?“ An einer herrlich knusprigen Semmel kauend setzte Dada dann zügig ihren Weg fort und fand auch, nachdem sie Hersfeld erreicht hatte, ohne Schwierigkeiten den Bahnhof. Hier nun standen auf dem Vorplatz etliche Fahrzeuge, auch viele Lastwagen,die zum Abtransport verschiedenster Güter vorbereitet wurden , und deren Fahrer erfahrungsgemäß, wenn Dada immer mal den Schulzug verpaßt hatte, am ehesten einen Anhalter mitnahmen . An ihr begrenztes Geld denkend , konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, trotz der Warnung und elterlichen Ablehnung während der Fahrtplanung zu versuchen, von hier aus nach Lüdenscheid zu trampen.
4.Kapitel A U F E I G E N E S R I S I K O !
Gut zu beobachten, wurde da gerade ein Geschäftsauto mit Kartons beladen. Der Fahrer, ein jüngerer kräftiger Bursche, machte einen recht sympatischen Eindruck auf Dada. Nach einigem Zögern, während sie das Einladen interessiert verfolgte, überwand sie sich endlich und fragte den Fahrer bemüht forsch: „Fahren Sie eventuell über Lüdenscheid?“ „Mach ich“ , war die prompte Antwort, „wollen Sie dahin? Ich könnte Sie ein Stück mitnehmen, muß nur unterwegs die Kartons abgeben. Ich bin hier gleich fertig, Sie können ruhig schon mal vorne einsteigen!° Froh über ihre Entscheidung und den schnellen Erfolg fuhr sie bald in angeregtem Gespräch mit dem netten Fahrer durch unbekannte Städtchen und Dörfer, bewunderte die gepflegten Häuser und Vorgärten, und freute sich mit dem Fahrer, als die ganze Fracht ausgeliefert war. Doch dabei war es Abend geworden, und sie hatte keine Ahnung, wie weit sie noch von Lüdenscheid entfernt waren. Als er nun seine Stullen auspackte und sie zum Mitessen einlud, bot er ihr an, da es schon sehr spät geworden sei und die Fahrt nach Lüdenscheid noch ziemlich lange dauern würde, lieber erstmal in einem kleinen Hotel, in dem er immer mal übernachten würde, ein paar Stunden zu schlafen, um dann ausgeruht am frühen Morgen weiterzufahren. Wenn sie ein Zimmer für sich hätte, dann gerne, stimmte sie zwar etwas verunsichert aber dankbar zu, denn inzwischen war sie totmüde nach dem langen,ereignisreichen Tag. Besagtes Hotel war schnell erreicht, und nachdem sie sich von ihrem großmütigen Begleiter voll Dankbarkeit bis zum Frühstück am nächsten Morgen verabschiedet hatte, lag sie schon kurz danach im Bett und war am Einschlafen,als sie hörte , daß er in das von ihr abgeschlossene Zimmer kommen wollte und sie auffordete, aufzuschließen. Zwar wieder hellwach, stellte sie sich schlafend, rührte und regte sich nicht und wartete, bis es vor der Tür wieder still geworden war.An Schlaf war nun nicht mehr zu denken, zumal nach etwa einer halben Stunde die Türklinke nocheinmal vorsichtig, wenn auch vergeblich, heruntergedrückt wurde. Fast geräuschlos zog sie sich im Dunklen wieder an, verstaute alles, was sie ausgepackt hatte, wieder in ihre Tasche und ,,,,,, setzte sich in einen großen, bequemen Sessel, der gleich am Fenster stand. Hier wartete sie angespannt, ob jetzt alles ruhig blieb, bis sich im ersten Dämmerlicht die Konturen der umstehenden Häuser abzeichneten. Mit größter Bedachtsamkeit schloß sie nun auf und öffnete die Tür einen Spalt. Der lange Flur war matt erleuchtet, und bis zur Treppe hin war niemand zu sehen. Sie schlich sich vorsichtig durch den Gang und die Treppe hinunter ,und da sich auch hier unten im Empfangsbereich keine Menschenseele aufhielt, und die Hoteltür nicht verschlossen war, stand sie kurz darauf erleichtert, wenn auch mit schlechtem Gewissen, draußen auf dem Bürgersteig und bemühte sich, möglichst schnell und ungesehen aus der Stadt herauszukommen. Wenn sie westwärts liefe, dachte sie, könne sie nicht viel falsch machen, und so auf irgendeiner Landstraße angekommen, lief sie nun in ihrem gewohnten Tempo immer der Nase nach und machte sich Mut, irgendwann wieder ein Auto anzuhalten. Es dauerte jedoch ein ganzes Weilchen, bis sie sich dazu durchgerungen hatte. Die Sonne war schon aufgegangen, es wurde bereits wärmer, da winkte sie kurz entschlossen, als sie hinter sich ein Motorengeräusch hörte. Dann ein kurzer Schreck – es war ein Armee-Fahrzeug, ein amerikanischer Jeep. Aber er hielt an, und ein schon leicht angegrauter amerikanischer Offizier, der allein darin am Steuer saß, sah sie fragend an: „Lüdenscheid? Yes !“ , und er machte eine einladende Handbewegung. Ein Mann in Uniform – Dada stieg voller Vertrauen zu ihm ein. Doch schon bald verließ das Fahrzeug die breite Verkehrsstraße, wechselte auf eine schmale Landstraße und bog dann in einen Feldweg ein, um irgendwann zwischen hohen Kornfeldern anzuhalten. Die Fahrt bisher war völlig schweigsam verlaufen , der Amerikaner sprach oder verstand offenbar kaum ein deutsches Wort .bedeutete ihr aber nun unmißverständlich, mit ihm auszusteigen. Die böse Ahnung, die sie unterwegs schon zunehmend befallen hatte, schlug nun in pure Angst um. Aber seine ruhige und freundliche Art ermutigte sie, mit ihm zu verhandeln. Verzweifelt marterte sie ihr aufgewühltes Gehirn, ihr die notwendigen englischen Vokabeln freizugeben, und tatsächlich konnte sie ihm erklären, daß sie schon zwei Jahre fest mit einem jungen Mann liiert sei, aber auch ihm nicht mehr als ein Kuß erlaubt wäre, da sie bis zur Hochzeit warten wolle . Der fremde und unbekannte Offizier hörte ernst und schweigend zu, überlegte kurz und forderte sie mit einer Handbewegung auf, sein Fahrzeug zu verlassen. Dann fuhr er wortlos davon. Erschöpft und zugleich erleichtert suchte sie nun den Rückweg, um wieder auf eine Verkehrsstraße zu kommen, obwohl sie mit dem Gedanken haderte, ob sie es nun noch einmal versuchen solle . Aber nirgends sah sie eine Spur von einer Eisenbahn, und da es aller guten Dinge drei bedarf und gerade ein kleiner Laster vorbei kam, der auch anhielt, hatte sie tatsächlich endlich Glück: „ Ja, ich fahre durch Lüdenscheid und nehme Sie gerne mit. Wenn Sie mir die Adresse sagen, kann ich Sie auch bis vor die Haustüre fahren. So geschah es nun wirklich. Am Spätnachmittag setzte er sie nach einer fröhlich verplauderten Fahrt vor dem Haus ihrer schon besorgten Gastfamilie ab, dem zu Hause von der Schul- und Studienfreundin ihrer Mutter, Emmi Kaus, ihrem Mann Hugo,dem Direktor der Lüdenscheider Berufsschule, und den drei Töchtern, etwa in ihrem Alter.
5.Kapitel F E R I E N I M W E S T E N
Doch ehe sie überhaupt die Gartentür erreicht hatte, kamen ihr schon die ersten Familienmitglieder entgegengerannt, und, was sie von zu Hause garnicht kannte, umarmten und küßten sie aus vollem Herzen, So wurde sie umgehend in ein wunderbar harmonisches Familienleben eingegliedert. Von dem Berufsschuldirektor Onkel Hugo war ihr schon früher mal erzählt worden. daß er während des Krieges als Hauptmann im Urlaub, in voller Uniform völlig unbeeindruckt von dem heimlichen Gespött der Passanten, seine kleine Tochter, in damaliger Zeit völlig unüblich , im Kinderwagen stolz spazierengefahren habe. - Alle anderen aber kannte sie schon ein bißchen von früheren Familienbesuchen her. So genoß Dada nun erst einmal einige Tage diese liebevolle Athmospäre und natürlich auch all die guten Sachen, die es im Osten derzeit noch nicht gab.Voller Interesse ließ sie sich von den drei Töchtern die schöne Stadt zeigen und berichtete auch ihrerseits viel von ihrem zu Hause, allerdings nicht ein Sterbenswörtchen von den Pannen ihrer Herfahrt. In der zweiten Woche begannen dann ihre Besuchsfahrten, welche ihre Eltern mit den Gasteltern besprochen- , und diese wohl auch schon vorbereitet hatten. Nachdem sie zuerst in Essen –Steele bei Onkel Clemens, einem Bruder des Großvaters und seiner großen Familie kurz hereingeschaut hatte , lernte sie nun auch endlich das Stammhaus der mütterlichen Familie in Essen- Rellinghausen kennen , dessen Geschichte sie aus Familiengesprächen bereits bestens kannte, und auf das sie daher besonders neugierig war. Dieses Häuschen inmitten eines Gartengrundstücks hatte ihr Urgroßvater, der hochangesehene Schulrektor Franz Booz, ehemals gerade für seine Familie erworben, als seine noch junge Frau , die Mutter seiner sieben Kinder , mit nur dreiundvierzig Jahren an Krebs starb. Der älteste Sohn studierte schon auf dem Lehrerseminar. Die nächstältere Tochter Klara jedoch übernahm mit fünfzehn Jahren die Führung des Haushalts, sowie die Betreuung und Erziehung ihrer fünf jüngeren Geschwister. Alle wurden später Lehrer, während sie selbst trotz etlicher Bewerber auf Heirat und eine eigene Familie verzichtete. - Eine besondere Rolle spielte in diesem Familienkreis die Musik. Alle Kinder spielten mindestens ein Instrument und beliebt waren ihre Abende mit Hauskonzerten. Dadurch blieb das Haus immer ein beliebter Treffpunkt der Familie. Seinen Beruf übte Vater Franz bis zum zweiundsiebzigsten Geburtstag aus. Als er mit dreiundachzig Jahren starb, wohnten nur noch Klara und der jüngste,unverheiratete Sohn Clemens zu Hause .Umgehend verzichteten die auswärts lebenden Geschwister , allerdings ohne jede Zusatzklausel, zugunsten von Klara , auf ihren Erbanspruch , sodaß dann bei ihrem Tod das Häuschen Eigentum von Clemens wurde, der inzwischen eine Adoptivtochter angenommen hatte. Beide würde sie nun kennenlernen und außerdem hier auch ihren Onkel Eugen, den Bruder ihrer Mutter wiedersehen, der nach seiner Rückkehr nach Essen statt seiner ehemaligen Wohnung nur noch verkohlte Trümmer vorfand, und der hier eine Bleibe gefunden hatte. So verbrachte sie bald ein freundliches Plauderstündchen mit den beiden Männern, da die Tochter heute nicht zu Hause war. Doch auch Onkel Eugen verabschiedete sich bald zu einer Verabredung, die man aber allgemein mit Besorgnis sah. Er hatte sich mit einer sehr wohlhabenden Fabrikantengattin, die sich angeblich scheiden lassen wollte, angefreundet, und alle fürchteten nun eine neue große Enttäuschung für ihn, da sich niemand vorstellen konnte, daß sich eine so gut situierte Dame außer einem kurzen Abenteuer auf die Dauer an so einen völlig mittellosen Habenichts binden würde.Doch er glaubte unerschütterlich an eine gemeinsame Zukunft Daher brachte dann der hochaufgeschossene, noch sehr rüstige Großonkel Clemens Dada allein zur Bahn nach Düsseldorf, von wo sie von seiner Nichte „Nüte“ ,eigentlich Luise, am Bahnhof erwartet und abgeholt werden würde. Danach auch hier, auf dem Bahnsteig, ein fröhliches Erkennen und Begrüßen von Menschen, die sich nur vom Hörensagen kannten. Tante Nüte war von ihrer ehemaligen Schülerin Eva, die mit ihr zusammen wohnte und der sie ein Mathematikstudium ermöglicht hatte, zum Bahnhof begleitet worden, und so lernte Dada ihre Begleiterin für den nächsten Tag gleich kennen. Da gerade herrliches Sommerwetter herrschte,war bereits ein Badeausflug zu einer Rheinbrücke vorgeplant. Das war natürlich eine besondere Überraschung, zu der sich die beiden am nächsten Vormittag in bester Laune auf den Weg machten.Zwar war das Baden im Rhein inzwischen untersagt, aber an dieser Stelle wurde noch kaum einmal kontrolliert. Eva warnte nur und riet, falls amerikanische Soldaten auftauchen würden, sofort unauffällig zu verschwinden. Aber außer einem kurzen „Attention“ von Eva, das sich aber als Fehlalarm herausstellte, folgten nun ein paar ungestörte und unbeschwerte Badestunden am Ufer und im Wasser vom herrlichen Rhein. Als Rückweg hatte Eva einen kleinen Schaufensterbummel vorgesehen, und Dada staunte voller Bewunderung über all die schönen Dinge , die hier in bunter Vielfalt angeboten wurden. Doch mitten in diesem Überfluß saß auch ein Bettler in einer Hausecke, der auf ein Almosen harrte, und in der Menschenmenge, die schier endlos durch die Fußgängerzone strömte ,sah sie ganze Familien in äußerst ärmlichem Zustand, sodaß Mitleid ihre Euphorie allerdings etwas dämpfte. Ein herrlicher Eisbecher beendete schließlich ihre fröhliche Tagestour und wieder bei Nüte zu Hause angekommen, hatte diese schon einen üppigen Abendbrottisch für sie gedeckt, den sie nie vergaß : Darauf nämlich auch eine ovale Büchse mit Hering in Tomatensoße, - und fast unglaublich - die durfte sie ganz alleine essen !
6.Kapitel
Die letzte Ferienwoche war angebrochen, und ein vorgesehener Besuch war noch zu machen, den Dada bis zuletzt aufgeschoben hatte, nämlich einen Besuch beim Vetter ihres Vaters, der inzwischen das riesige Bergbau-Unternehmen leitete,welches ihre Urgroßeltern im vorigen Jahrhundert gegründet und aufgebaut hatten und dessen Hauptsitz und oberhalb davon das Wohnhaus in Dortmund war. Weil dieser Besuch aber eventuell entscheiden könnte, ob sie wieder in den Osten zurückkehren würde, sie aber bisher noch nie Kontakt mit der Familie hatte, trat sie ihn mit einiger Beklemmung an ,obwohl ihr beide Eltern versichert hatten, daß dieses nun schon ältere Ehepaar ausgesprochen nett und gastfreundlich sei. Der Besuch war wohl nicht abgesprochen worden, und Onkel Hugo, der sie zum Bahnhof gefahren hatte, löste vorsichtshalber gleich eine Rückfahrkarte mit. Vom Zielbahnhof war es dann nicht sehr weit bis zum Werksgelände. Der Vater hatte ihr den Weg dorthin genau beschrieben, und dort könnte sie sich den Weg zum Privathaus zeigen lassen.In Dortmund angekommen, führte die angegebene Straße schon bald durch eine riesige Eisenbahnbrücke, auf der in ebenfalls riesigen Lettern die Firma bereits angekündigt wurde. Sie war also auf dem richtigen Weg. Bald hatte sie den Haupteingang zum Werksgelände erreicht, passierte den Eingang zu dem großen Fabrikhof und lief gleich auf das erste Gebäude zu, wo sie eine Pförtnerloge erkannte. Als sie sich dieser dann etwas zögernd näherte, öffnete ein älterer Pförtner in schicker Betriebsuniform schon das Besucherfenster und schaute ihr etwas erstaunt aber freundlich entgegen. Doch sein leicht verhaltenes Lächeln ermutigte sie, gleich, ohne seine Fragen abzuwarten, ihr etwas außergewöhnliches Anliegen vorzutragen: „Ich komme aus der Ostzone, aus Thüringen, heiße Deilmann und möchte meine Verwandten hier besuchen. Mir wurde gesagt, den Weg von hier zum Wohnhaus könnte ich mir von Ihnen, bitte, beschreiben lassen.“ Seine erstaunte Miene wandelte sich zunehmend in pures Entgegenkommen: „Mein Gott, Fräulein Deilmann, das ist ja sicher eine große Überraschung! Da rufe ich gleich mal oben an, und dann kann Sie jemand hochfahren!“ Doch während sie sein Angebot noch abwehren wollte, liefen zwei gutgekleidete junge Frauen, in lebhaftem Gespräch aus dem Werksgelände kommend, dem Ausgang zu. Eilig erklärte er: „Das paßt ja bestens! Das sind die beiden Deilmannstöchter, die können Sie doch gleich mitnehmen“, und rief ihnen zu: „Hallo, hier ist eine Verwandte von Ihnen, ein Fräulein Deilmann aus der Sowjetzone, die möchte Sie besuchen ! Könnten Sie die junge Dame eventuell mitnehmen?“ Die beiden schauten sich im Laufen kurz und fragend an, ein abschätziges kleines Kichern, und schon waren sie durch den Ausgang aus dem Blickfeld verschwunden. Der völlig verdutzte und offensichtlich betroffene Pförtner wollte Dada trösten und beteuerte, daß ihre Eltern aber doch ganz anders seien, (was sich später auch bestätigte) und die würden sich über ihren Besuch mit Sicherheit sehr freuen . Aber sie sah ihr skeptisches Vorurteil gegen sehr reiche Menschen bestätigt, wendete sich mit „Bestem Dank“ zum Gehen, und war froh und erleichtert, daß sie die Rückfahrkarte schon bei sich hatte. 7.Kapitel G L Ü C K L I C H E H E I M K E H R
Die letzte Ferienwoche ging damit dem Ende zu, und nun war es soviel wie sicher- , sie wird wieder nach Hause fahren . Doch ein Bedürfnis hatte sie noch, nämlich eine Wahlveranstaltung zu besuchen . Deutschland war auf dem Weg. in zwei Teile zu zerfallen. Zuerst der Westen , dann auch der Osten, würden nach der endgültig trennenden Währungsreform im vorigen Jahr nun in kurzer Zeit auch eine eigene Regierung wählen. Im Osten ging es im wesentlichen ja eigentlich nur darum, die von den regierungstreuen Parteien aufgestellten und für zuverlässig befundenen Kandidaten zu bestätigen. Doch wie würde es hier im Westen sein? Sie hatte Glück. Zwei Tage vor ihrer Abreise fand im hiesigen Stadtteil, ganz in ihrer Nähe, eine Einwohnerversammlung zur Wahl statt. Mit der um ein Jahr jüngeren Ingrid, die sich ebenso wie sie, für die politische Entwicklung und Zukunft ihres Landes interessierte, machte sie sich pünktlich und erwartungsvoll auf den Weg zu dieser Veranstaltung, die in einem großen und vollbesetzten Saal stattfand.Aber statt der sachlich-leidenschaftlichen Diskussionen, die sie mit den Eltern im Fernsehen bewundernd verfolgt hatte, erlebte sie hier vorwiegend beleidigende persönliche Diffammierungen und heftigen Streit um die ungerechte Verteilung von Spendengeldern für die Wahlwerbung. Nein, das konnte ihr so auch nicht gefallen. Am Sonnabend wurde nun endgültig die Rückreise vorbereitet. Viel Gepäck konnte sie ja nicht mitnehmen, aber dafür wurde ihre Reisekleidung modernisiert.Die Mode hatte sich gerade auf knöchellange,weite Röcke umgestellt und in solch einem schicken,neuen Kleidungsstück und mit ihrer nun von Geschenken prall gefüllten Schultasche wurde sie dann am Sonntagvon der ganzen Kaus-Familie bis an den Zug gebracht. Hier ein rührender,etwas wehmütiger Abschied, obwohl damals keiner von ihnen ahnte, daß sie sich nicht noch einmal wiedersehen könnten, noch ein dankbares Zurückwinken, und der erste Teil der Rückreise bis nach Philippsthal begann. Als sie dort am Spätabend ankam, es war mittlerweile schon dunkel geworden, die Fenster waren hell erleuchtet und die Straße fast menschenleer, wanderte sie ganz gemütlich durchs Dorf, an den letzten Häusern vorbei, über die Werrawiese bis zum Fluß, um sich hier, nicht allzuweit von der Brücke entfernt, ein durch Gebüsch verdecktes Plätzchen zu suchen. Hier wartete sie nun wieder bis nach Mitternacht, und wieder war ringsum reglose Stille, als sie zur Uferböschung aufbrach. Der Wasserspiegel war in den vergangenen drei Wochen zwar etwas höher gestiegen, aber durchaus noch passierbar.Nur ihr neuer langer, weiter Rock nahm jetzt soviel Platz ein, daß er trotz aller Mühe nicht mehr in ihre Tasche paßte. Die andere Hand aber brauchte sie ja für ihre Schuhe. Also mußte sie ihn notgedrungen anbehalten, nach oben zusammenraffen, und ihn, so gut es eben ging, festhalten. Auch zurück konnte sie nun ungestört und ohne Schwierigkeiten durch die Werra an das thüringer Ufer gegenüber waten. Nur kurz, bevor sie es erreichte, glitt ihr der Rock aus den Händen, und sein Saum rutschte ins Wasser. Doch bei der warmen Temperatur störte das ja kaum, und in ihrer großen Freude über die nochmals gut gelungene Grenzpassage merkte sie die Nässe bald garnicht mehr. Möglichst schnell verließ sie die Werraregion, wartete auf einer Parkbank, bis die Bahnhofgaststätte aufgeschlossen wurde, um mit dem ersten Schichtzug dann nach Hause zu fahren.Als sie gegen Morgen etwas fröstelnd in den Warteraum kam, warteten dort schon zwei andere Fahrgäste auf die Zugabfahrt, und sie setzte sich etwas entfernt in eine Ecke. Kurz danach schon kam ein deutscher Grenzsoldat herein, um die Ausweise zu kontrollieren. Nachdem er bei den beiden Männern an den Nebentischen angefangen hatte, kam er an ihren Platz: „Ihren Ausweis, bitte! --- Sie kommen doch aus Phippsthal ?! --- Nein? --- Na, da gucken Sie doch mal unter Ihren Stuhl!“ Überrascht und erschrocken stellte sie fest, daß sich aus ihrem Rocksaum um den Stuhl herum eine nicht zu übersehende Wasserlache gebildet hatte. --- „So,soo, Sie waren drüben zum Ferienbesuch und wollen nachher wieder nach Hause, nach Merkers fahren? Na gut, ich glaub Ihnen. Aber gleich , an der Sperre, kontrollieren die Russen. Die würden Sie auf jeden Fall erstmal mitnehmen. Warten Sie hier, ich bringe Sie durch die Sperre an den Zug.“ Da hatte sie mal wieder großes Glück gehabt! Mit einem kleinen Adreßzettelchen in der Hand : --- “Falls Sie sich mal bei mir bedanken wollen?!“ --- , konnte sie nun ohne weitere Behinderungen in ihren Heimatort Merkers fahren und überraschte dort ihre glücklichen Eltern, die ihrer guten Rückkehr schon besorgt entgegengebangt hatten. Mit ihrem neuen Schreibpartner aber verband sie bald eine lange Brieffreundschaft.
Zu Hause erwartete Dada eine ungewöhnliche Betriebsamkeit und Unruhe, denn am kommenden Wochenende sollte hier im Haus die Hochzeit der sechs Jahre älteren Schwester Hella gefeiert werden. Doch zum Wochenanfang mußten zuerst auch die Schultaschen von drei Kindern für das neue Schuljahr ordentlich vorbereitet sein. Sie selbst jedoch sah ihrem letzten Schuljahr recht gelassen entgegen. Ihre neuen Schulbücher hatte sie schon, und bei der vorbereitenden Elternversammlung ihrer Klasse hatte die Mutter bereits erfahren, daß alle Fächer von den gleichen Lehrern wie im Vorjahr unterrichtet würden. Ihr Klassenlehrer, der Russischlehrer Herr Stenz, hatte ihr sogar schon drei Tage Schulfrei zum Helfen fürs Wochenende gestattet. Es würde also alles unverändert und wie immer weitergehen. Doch welch ein Irrtum! Als sie am ersten Schultag morgens in ihre Klasse kam , war der leere Platz ihrer ersten Bank besetzt. Ein unbekannter neuer Schüler! Ziemlich groß, schlank und blaß, dunkle Haare und Augen mit Brille,- so machte er auf sie einen sehr ernsten und erwachsenen ersten Eindruck.. Die kurze. höfliche Begrüßung wurde jäh durch Zita unterbrochen, die auch gerade herein kam und mit lautem Hallo die anfängliche Zurückhaltung beendete: „Mensch, Arno, wie kommst du denn hierher? ---Was? In Jena durchs Abi geflogen? Das kann doch nicht wahr sein! - - - In Erdkunde und in Biologie eine fünf ? Sehr komisch! Und dein Musikstudium? - - - Doch wenn sich dein schon abgesprochenes Vorspiel bei einem Professor in Weimar dadurch erübrigt hat, war das ja doppelt gemein! Aber wer weiß, wozu es gut war! Hier wird dir das mit Sicherheit nicht nochmal passieren! “ - Die beiden kannten sich offensichtlich sehr gut, und Dada, die zukünftig nun zwischen den beiden sitzen würde, hatte jetzt schon eine ganze Menge über den Neuen erfahren. In der großen Pause aber erzählte ihr Zita dann voller Anteilnahme so ausführlich seine Lebensgeschichte,daß sie ihn fast besser kennen lernte, als ihre übrigen langjährigen Klassenkameraden.
Also : Arno gehörte zu den Salzunger Ureinwohnern. Schon sein Urgroßvater hatte als Salzsieder auf der Nappe gearbeitet und erwarb in der Silge ein kleines Wohnhaus,in dem dann sein Großvater, der spätere Meister im Kaltwalzwerk, sein Vater, und dann, 1930 , auch Arno geboren wurde. Jedoch schon nach vier Jahren verstarb seine Mutter, die eine Enkeltochter des bekannten Salzunger Fabrikanten und Politikers Friedrich Eckardt war, an Tuberkulose. Er und sein kleines Schwesterchen wurden nun von der jüngeren Schwester des Vaters und von den Großeltern liebevoll hier weiter betreut. Schon sehr früh fiel der Familie Arnos Liebe zum Musizieren auf, die aber nicht nur erkannt, sondern auch sorgfältig gefördert wurde. Er bekam Klavier- , Akkordeon- und Geigenunterricht , und obwohl er auch ein guter Schüler in der Allgemeinschule war und später zur Oberschule ging, brauchte er nie zum Üben an seinen Instrumenten erst aufgefordert zu werden . Als der Krieg kam, wurde der Vater eingezogen , und fand nach Kriegsende einen neuen Arbeitsplatz in der Konstruktionsabteilung der Zeisswerke in Jena. Hierhin holte er seine beiden Kinder bald nach und Arno bekam auch in Jena neben dem Schulunterricht weiter eine fundierte Musikausbildung durch eine hochqualifizierte Pianistin . Doch die Nachkriegsversorgung mit Lebensmitteln, besonders auch in den Städten, war äußerst knapp.Mit Musikmachen aber konnte man sie erheblich aufbessern. Arno erspielte sich deshalb einen Berufsausweis als Pianist, und spielte in einer Big-Band sowie in einer Kirmeskapelle statt im Schulorchester. Er verbesserte damit zwar die Versorgung der Familie, verärgerte aber seine Lehrer. - Nun war er also wieder in Salzungen ! Doch gerade klingelte es jetzt, – die große Pause war schon zu Ende. Gleich würde die Geschichtsstunde bei Herrn Zarm beginnen, mit dem Dada im Vorjahr teilweise heftige Diskussionen über gegenwärtige staatliche Maßnahmen geführt hatte, und dem sie nun unbedingt von ihren eigenen Eindrücken und Ferienerfahrungen berichten wollte, selbst auf die Gefahr hin, von der Schule zu fliegen. Aber sie war ja nicht ohne Grund zurückgekommen und wollte ihm auch in manchen Dingen rechtgeben . - Es wurde eine sehr emotionale und interessante Stunde, sicher völlig anders, als sie Herr Zarm in seiner Unterrichtsvorbereitung vorgesehen hatte,und er ging ohne starre Dogmenverteidigung auf die Argumente seiner Schüler ein. Leider geht eine interessante Schulstunde ja besonders schnell zu Ende. Jedoch auf dem Stundenplan des nächsten Tages stand schon die zweite Geschichtsstunde, und Dada erwartete sie voller bedrückter Spannung . Aber nein. sie wurde nicht zum Direktor bestellt! Hatte Herr Zarm ihm etwa ihre Grenzverletzung nicht gemeldet!?. Aber er ließ heute die Klasse eine ungewöhnliche Klassenarbeit schreiben: „Nehmt bitte ein Blatt und schreibt jetzt einen außerplanmäßigen Aufsatz, Thema: Volle Läden im Westen.“ Dada war zutiefst erschrocken und fürchtete natürlich den durchaus verständlichen Unmut der Klasse. Aber nichts dergleichen war zu spüren, sondern alle begannen widerspruchslos zu schreiben. So schrieb auch sie nochmal auf, was sie im Unterricht ja schon geschildert und vertreten hatte: Daß durch die enorme wirtschaftliche Unterstützung des amerikanischen Marshall-Planes seit 1958 in Westdeutschland ein ungleich weit besseres Warenangebot, quantitativ wie qualitativ, ermöglicht wurde, welches aber nicht allen , beispielsweise den Arbeitslosen oder Obdachlosen, zugute käme. Außerdem würde sie auch eine spürbare politische Abhängigkeit bewirken. - Als die Aufsätze eine Woche später zurückgegeben wurden, prangte auf Dadas Blatt eine große rote 5 !! Wortlos steckte sie den Bogen gleich in ihre Tasche in dem Bewußtsein, daß diese Fünf keine Note, sondern die dringende Warnung sein sollte, solch eine Fahrt nicht noch einmal zu wiederholen. Doch hiermit wurde nun die ganze Geschichte endgültig zu den Akten gelegt. 9.Kapitel H E L L A S H O C H Z E I T Zu Hause, in Merkers, drehte sich nun alles um Hellas recht unerwartete Hochzeit . Hella war im letzten Semester ihres Medizin- Studiums angekommen und bereitete sich bereits auf die ersten der zahlreichen Abschlußprüfungen vor .Weil die Eltern aber dieses Jahr erstmalig in Urlaub fuhren, da der Vater nun eine Praxisvertretung anfordern konnte, fuhr sie zum Wochenende nach Hause, wo der Vertreter schon eingetroffen war, um ihn bei der Praxisübernahme mit den vielen ihm unbekannten Patienten in vier Orten einzuweisen und etwas zu unterstützen. Dick, so wurde der junge Arzt gerufen, war noch nicht lange aus der Kriegsgefangenschaft zurück gekommen . Er stammte aus Jena, wo sein Vater damals als leitender Prokurist der Zeiß-Werke arbeitete, wodurch der Sohn wohl die Möglichkeit bekam, in der Schweiz Medizin zu studieren. Als er nach dem Examen nach Deutschland zurückkehrte, brach unmittelbar danach der Krieg aus, er wurde eingezogen, verbrachte die folgenden Jahre in verschiedenen Lazaretten und dann in Kriegsgefangenschaft. In Merkers aber folgte nun eine große Liebe auf den ersten Blick, und Hella und Dick beschlossen, recht bald zu heiraten.Da Dick aber jetzt endlich ein festes und ruhiges zu Hause haben wollte, sollte Hella ihr Studium abbrechen. Alle Gegenargumente waren umsonst! Hella ließ sich exmatrikulieren!! In Jena wurde eine Wohnung gemietet und der Hochzeitstermin in kürzester Zeit festgesetzt. So konnte sich Hella nun völlig sorglos den Festvorbereitungen widmen. Als Dada jedoch die lange Gästeliste durchlas, war sie doch etwas erschrocken. Hella hatte auch Reinhard eingeladen. Er sollte zur Trauung in der Kirche mit seiner wunderbar sanften Bariton-Stimme das schönste aller Liebeslieder :„Ännchen von Tharau“, singen. Aber auch Fredi, der nette Nachbarbursche, war eingeladen Der zurückhaltende Blondschschopf und seine Mutter, der Vater war gefallen, mußten 1946 Danzig und Heimat verlassen. Er wohnte seitdem im Nebenhaus, und eine fast kindliche Freundschaft hatte Dada und den um ein Jahr Älteren, der schon eine Lehre im Kalibetrieb begonnen hatte, lange Zeit verbunden. Ihr tägliches Ritual wurde es, daß Fredi sie jeden Abend zu einem Spaziergang bis zum Waldrand abholte,sie sich unterwegs bis dorthin über Gott und alle Welt, vorallem über die Vergangenheit, zaghaft manchmal über die Zukunft,doch auch über Schönes oder Bedrückendes der Gegenwart unterhielten. Oben angekommen, ein flüchtiger Kuß, und nun Hand in Hand ein stiller Heimweg. Da Fredi meistens eine dunkelrote Weste trug, die ihm seine Mutter genäht hatte und die er wohl besonders gern anzog, rief Dadas Großvater, der diese Spaziergänge mit Mißtrauen beobachtete, einmal ärgerlich:“Da ist doch der Rotbefrackte schon wieder! Was der nur will ?“ Doch als dann Reinhard Gast in Merkers wurde, zog er sich fast unmerklich zurück. Dada hatte inzwischen jedoch zu beiden weiterhin ein gutes, freundschaftliches Verhältnis. Zu ihrer Freude aber fand sie auch den Namen ihres verehrten Lehrers „Abu“ und etlicher anderer ihr liebgewordenen Menschen auf der Liste. So wurde es auch für sie eine wunderschöne und harmonische Feier !
Voller fröhlicher Erinnerungen und in bester Laune kam Dada am Montag wieder in ihre Klasse.Es war zwar, wie immer bei den Fahrschülern, noch eine gute Stunde Zeit bis zum Unterrichtsbeginn, aber Zita war auch schon da, hatte wohl auf sie gewartet und rief ihr schon entgegen :“ Mensch, Dada, was hast Du nur mit dem Arno gemacht?“, und dann berichtete sie mit gespielter Entrüstung, daß er sie jeden Tag mit seinen Fragen nach ihr genervt hätte, denn Zita und Arno waren ja miteinander noch recht vertraut aus der Zeit, als Arno noch hier bei seinen Großeltern in der Silge wohnte und er damals, obwohl er protestantisch getauft war, nicht an der Orgel in der evangelischen Kirche das Orgelspiel erlernen und dafür auch üben durfte,was ihm aber die katholische Kirche gestattete. Doch auch Zita ,gläubige Katholikin, die zwar mit rauher und tiefer Stimme sprach, aber kurioserweise mit einer klaren und hellen Sopranstimme sang , übte hier oft zur gleichen Zeit für ihre Solopartien im Kirchenchor. Dann folgte damals meist nach dem Üben ein kleiner Schwatz. Doch nun traf auch Arno ein und machte aus seiner Zuneigung kein Geheimnis:“Moin,Moin!“ Prima, daß Du endlich wieder da bist! Alles okay ?“ Inzwischen aber waren alle Schüler eingetroffen, acht Uhr, und die neue, noch sehr junge, doch etwas schrullige Hilfslehrerin Fräulein Eleonore Fischer, die Dada aus der Schulzeit in Vacha als Schülerin schon kannte, da sie dort in einer Schülervorführung des „Zerbrochenen Krugs“ von Kleist unnachahmlich und umwerfend komisch den Richter gespielt -, und außerdem eine viel beachtete Puppensammlung zusammengetragen hatte, war hereingekommen und der Unterricht konnte beginnen. Aber inzwischen hatte sich der Nimbus, jetzt Abiturklasse zu sein, auf das Selbstbewußtsein der Schüler ausgewirkt, besonders der bisher völlig unauffällige Otto,(Ötten) Scharfenberg machte plötzlich von sich reden, nämlich in Rhöner Platt!! In kürzester Zeit wurde ein Gemisch aus den verschiedenen Varianten der vertretenen umliegenden Dörfer zur Klassensprache, unverständlich für die meisten Lehrer. Und so entspann sich zum Anfang heute folgendes Zwiegespräch: Fräulein Fischer (Fischi) : „Herr Scharfenberg,können Sie mir mal wiederholen ,was wir in der letzten Stunde gelernt haben?“ Ötten, an die Klasse gerichtet: „Sullich mitter schwoatz?? Naa! Hons goanze Johr net mitter geschwoatzt , schwoatzich hit aanich mitter !“ ( „Soll ich mit ihr reden?? Nein! Habs ganze Jahr nicht mit ihr geredet, red‘ ich heut‘ auch nicht mit ihr !) Fischi, etwas ratlos: „Was sagten Sie, Herr Scharfenberg?“ Ötten,zur johlenden Klasse : „Mochts Faanster üff, schmißtse nüüß !“ ( Ötten : „Machts Fenster auf, schmeißt sie raus!“ ) Schon im Laufe dieser ersten Woche wurde der Kontakt zwischen Arno und Dada immer intensiver, sodaß Arno am Wochenende fragte, ob sie nicht nach dem Unterricht mal mit zu ihm nach Hause käme, seine Patentante, bei der er dort jetzt wohne und die ihn betreue, würde sie auch gerne kennenlernen. Dada willigte natürlich sehr gerne ein. Doch die Ankunft dort wurde ein kleines Schockerlebnis für sie: Während die „Pate“ sie überaus freundlich begrüßte, fragte Arno, ob denn auch seine Schuhe schon geputzt wären. Noch während sie bedauernd verneinte, ein heftiger Knall ! Arno hatte einen der Schuhe wütend an die Wand geschmissen . Das war nun allerdings ein sehr überraschender und deutlicher Dämpfer für ihre so übermäßig positive Einschätzung ihres neuen Verehrers. Aber Pate Marie dämpfte alles mit ihrer begütigenden Freundlichkeit, und zu guter Letzt verabschiedeten sich alle in bestem Einvernehmen . Ganz anders leider verlief vierzehn Tage später der Besuch von Arnos Vater , kurz vor seiner Hochzeit mit einer neuen Partnerin. Vorher war er schon bei Dadas Eltern in Merkers gewesen. Da er aber dort keinerlei Unterstützung fand, um die sich anbahnende Freundschaft ihrer beiden Kinder zu unterbinden, lud er seine ganze Familie in Bad Salzungen nach der Schule zu einem , für ihn wenigstens, sehr wichtigen Treffen ein . In der Mittagszeit versammelten sich nun alle, auch Arnos Schwester Herthi, und die beiden verwaisten Cousins, Hans und Heinz, die Pate nach dem Krieg aus Berlin in ihre Obhut geholt hatte, um den großen Familientisch, und Dada wurde nun in aller Form, unter Zeugen aufgefordert, sich zurückzuziehen, denn Arno müßte jetzt nur noch lernen. Ringsum betretene Gesichter, nur Pate lächelte Dada versteckt zu. Dann ein frostiger Abschied. Gut vierzehn Tage später fand die Trauung des neuen Elternpaares in Jena statt .Arno fuhr zwar nach langem Zureden, aber nur, wenn er einen Schuh von Dada mitnehmen dürfe, mit Pate zur Trauung im Jenaer Standesamt, doch kehrte er, noch vor dem Festessen, mit dem ersten Zug wieder nach Bad Salzungen zurück. Doch bald schon gab es auch einen ersten Krach zwischen den beiden. Der Sportuntericht fand für Jungen und Mädchen getrennt in der Sporthalle der Bürgerschule statt, Wenn die eine Gruppe Sportunterricht hatte, konnte sich die andere beliebig beschäftigen.Während also eines Tages die Mädchen zum Sportunterricht gegangen waren, hatten die Jungens das Klassenzimmer für sich. Da Dada ab und zu bei Zita blieb und übernachtete, hatte sie dann ein paar Anziehsachen und Waschzeug in einem kleinen Köfferchen bei sich . Als an einem solchen Tag Dada vom Sportunterricht zurückkam , traute sie ihren Augen und Ohren nicht : Hoch oben am Kartenständer hing fast ihr gesamter Kofferinhalt, drumherum standen die Jungens und einer vom ihnen, den Zeigestock schlagbereit in der Hand ,schrie gerade: „Meine Herren, und hier ein ganz schickes Jäckchen, Mode letzter Schrei! Zum ersten, zum zweiten, und zum - - - doch als er gerade zum Schlag ausholte, sah er Dada hereinkommen, und wie von Geisterhand versteckt, waren bis auf Arno alle verschwunden. Bei aller Komik – Dada war stocksauer, vor allem aber , daß Arno dem lustigen Treiben zugeschaut und es nicht verhindert hatte. Voller Wut wechselte sie ihren Sitzplatz mit Zita , und für eine ganze Weile saßen Arno und Dada nun nicht mehr nebeneinander. Doch Arno ließ sich davon nicht im geringsten beeindrucken, sondern er versicherte Zita am nächsten Tag in voller Überzeugung: „ Und ich heirate sie doch!!“ 11.Kapitel A B I T U R M I T H I N D E R N I S S E N Doch dann wurde es langsam ernst mit dem Abitur, die Prüfungstermine wurden bereits bekanntgegeben. Den Anfang machte die Sportprüfung für Jungen und Mädchen gemeinsam in der Bürgerschule am Sonnabend dem 13.Mai . Am Sonntag, dem nächsten Tag , hatte Dada ihren achtzehnten Geburtstag, und am Montag begann dann das schriftliche Abitur in der Aula der Bürgerschule. Arno und Dada hatten erwartungsgemäß wieder zusammengefunden und machten sich an diesem Sonnabend ohne große Sorgen gemeinsam auf den Weg zur Sporthalle, Dada allerdings mit dem Ehrgeiz, unbedingt ihre eins in Sport auf dem Zeugnis zu erhalten Es wurde, wie gewöhnlich, mit den Pflichtübungen begonnen, und dann standen ein paar Zusatzübungen zur Auswahl, bei denen Dada zu ihrer großen Freude feststellte,,daß auch Handstand-Überschlag ,ihre Paradenummer, zur Auswahl stand. Als sie damit dann an die Reihe kam, wollte sie ihre eins ganz sicher machen und wirbelte beim Überschlag möglichst hoch nach oben.Beim Wiederaufkommen aber schien sie einen dröhnenden Knax zu hören , und mit einem heftigen Schmerz versagte ihr das linke Bein seinen Dienst.Auch die Mitschüler standen wie gelähmt. „Also, jetzt nur kein Theater machen!“ - Dada versuchte, möglichst unauffällig, auf dem rechten Fuß hüpfend, an ihren Platz zurück zu kommen. Doch da sackte sie zusammen. Arno mußte also bei seiner Tante ein Fahrrad holen, schob sie damit zur Silge, und ein Arzt schickte sie anschließend zum Röntgen ins Krankenhaus. Dort stellte man einen Wadenbeinbruch fest, konnte das Bein aber noch nicht gipsen, da es inzwischen stark angeschwollen war. Das bedeutete aber: Nicht laufen und möglichst ruhig halten. Der Vater holte sie dann mit seinem Auto nach Merkers, es folgten eine schmerzvolle Nacht und ihr Geburtstag mit der bangen Frage, -Abi verschieben oder irgendwie nach Salzungen kommen? Es gab tatsächlich eine Lösung: Dadas Pateneltern, Ehepaar Dr.Krause, wohnten schräg gegenüber der Schule. Hier konnte sie während der ganzen Prüfungswoche wohnen. Arno trug sie dann jeden Morgen dort die Treppen herunter, fuhr sie mit einem Wägelchen bis zur Schulpforte und schleppte sie dann hoch in die Aula im dritten Stock. Alles verlief bestens, und nachdem das Bein gegipst werden konnte, durften Arno und Dada ungestraft als einziges Schülerpärchen Arm in Arm in der restlichen Schulzeit zum Unterricht kommen. Zum glücklichen Ende hatte die ganze Klasse das Abitur bestanden, und wenn auch zum großen Abi-Ball das Tanzen mit Gipsbein recht beschwerlich war, - es war ein wunderschöner, unvergeßlicher Tag!
Jetzt aber ließ sich die Berufsfrage nicht mehr aufschieben. Fest stand nur, sie wollten zusammenbleiben , jetzt, immer, und später möglichst auch zusammen arbeiten können. Zwar war verlockend, daß beide schon einen Draht nach Weimar hatten, - Arno zum Musikstudium, Dada zur Schauspielausbildung, aber da waren sie sich einig, - sie wollten keine Künstlerehe führen ! Für Arno blieb also nur das Medizinstudium akzeptabel, welches für Dada auf hohe Hürden stieß : Zuerst die üblichen Froschversuche während des Studiums, dann das Spritzengeben im Beruf. Außerdem würde sie als „Intelligenzkind“ ohne eine Zulassungsgarantie durch einen Einzelvertrag des Vaters kaum hierzu angenommen, was bei Arno als „Arbeiterkind“ soviel wie sicher war. So entschlossen sie , sich beide in Jena zu bewerben, Arno zum Medizinstudium , und Dada zu einer zweijährigen Krankenschwesternausbildung, um die Möglichkeiten einer Angleichung auszutesten. Beide wurden angenommen, und so fuhren sie zum ersten September mit etlichen Klassenkameraden als Startstudenten mit dem Schnellzug, der viele Arbeitskräfte der Gegend nach Zwickau, zur besonders reichlich vergüteten aber auch gefahrvollen Urangewinnung brachte , und der auch in Jena hielt, mit vielen großen Erwartungen in die kleine, idyllische Universitätsstadt Jena an der Saale. In Jena angekommen, trennten sich jetzt zwangsläufig für einige Zeit Ihre Wege. Arno konnte bei seinen Eltern in der Gorki-Sraße wohnen. Da diese jedoch zwei Zimmer an Studenten vermieten mußten, und beide waren dieses Jahr frei geworden, konnten auch „Ötten“ Scharfenberg und sein Freund „Kierten“ Volkert, die Sport/Pädagogik studierten, mit hier einziehen, während Dada für das Jahr der theoretischen Ausbildung in ein Schwestern-Internat am Fuchsturmweg einzog.Da sie dort keinen Besuch empfangen durfte,kam Arno fast jeden Abend dorthin, um sich nach ausgemachtem Pfiff, ( aus einer Oper, Text :„Ich liebe dich!) unter ihrem Fenster im ersten Stock kurz zuzuwinken, um danach wieder weiter auf das Wochenende zu warten, an dem sie meistens über einen Besuch bei Pate in BaSa zu ihren Eltern weiter nach Merkers fuhren. Die Heimfahrt wurde allerdings manchmal zum Ärgernis, wenn sie auf dem Umsteigebahnhof in Eisenach, selbst bei minimaler Verspätung, nur noch die Schlußlichter ihres Anschlußzuges, eines Schichtzuges, sahen,und die Nacht dann bis zum nächsten Zug im Wartesaal verbringen mußten. So verlief das Jahr recht unspektakulär. Aber zum Jahresende stimmten sogar beide Elternpaare einer offiziellen Verlobung zu Weihnachten zu, schon um das durch den unschönen Beginn gestörte Familienklima wieder zu normalisieren. Das Weihnachtsfest 1950 wurde also der große Tag, an dem nun endlich ganz offiziell ihr gemeinsamer langer Lebensweg begann.
Das erste Jahr war endlich geschafft, und ganz gut gelaufen. Arno hatte zwar von Medizinischem kaum etwas gehört , sondern mußte sich vorerst mit den meist unbeliebten Naturkundefächern befassen, um erst einmal das vorklinische Physikum zu bestehen, aber Dada hatte ihre theoretische Abschlußprüfung schon bestens bestanden und war nun dem internen Städtischen Krankenhaus zugewiesen worden, in dem sie auch wohnen konnte. Sie hatte ihre Arbeit dort bereits begonnen und empfand es als großes Glück, daß sie zuerst bei Kindern eingesetzt wurde, auf einer Isolierstation für zwei- bis vierjährige scharlachkranke Kinder, die hier sechs Wochen lang isoliert , und meist mit dem seit 1941 entwickelten Penicillin behandelt wurden, Damals nur erst in wässriger Form für Injektionen hergestellt, mußte es den Kindern dreistündlich gespritzt werden. Nun,da sie selbst vor zehn Jahren während der deutschlandweiten Scharlachepidemie erkrankt war,brauchte sie keine Ansteckung zu fürchten Die Stationsschwester, Schwester Sigrid, eine junge, freundliche Blondine, erklärte Dada den täglichen Arbeitsablauf, sodaß sie gleich den Mut fand , ihr zu beichten , daß sie zwar alles gerne und gewissenhaft befolgen würde, nur Spritzen zu geben wäre für sie völlig unmöglich , was Schwester Sigrid zu ihrer großen Beruhigung mit einem kurzen, verständnisvollen Kopfnicken akzeptierte. Dann wurde Dada, jetzt Schwester Dori, mit dem Fiebermessen beauftragt. Noch ehe sie sich richtig in ihre neue Rolle eingefunden hatte, rief es aus einem der Kinderzimmer :“Tante, - Tante!“ Schnell schaute sie nach , Da stand ein kleines stämmiges Bürschlein mit sehr dunklen Augen und Haaren in seinem Gitterbettchen und rief ihr mit lauter , auffallend tiefer Stimme entgegen:“ Tante, mal kack !“ Und aus dem Nebenbettchen zirpte das hohe Stimmchen eines zarten blondlockigen Mädchens wie ein Echo: „Tante, - mal kack !“ Diese ungewöhliche Begrüßung eines ebenso ungewöhnlichen Zwillingspaares machte ihr klar, sie war in einer ganz neuen, kleinen Welt und würde hier viel lernen .Nach etwa vierzehn Tagen aber, sie fütterte gerade eines der kleinsten Patienten, kam die Stationsschwester hinzu, hatte eine Spritzenschale dabei und meinte mit einem leichten Lächeln:“Schwester Dori, ich glaube, Sie geben heute Ihre erste Spritze“, und wie Dada gerade erregt protestieren wollte :“ Schon gut, nur ruhig, Sie können das ganz allein entscheiden . Aber das kleine Peterchen weint ganz schrecklich und will sich keine Spritze geben lassen, - höchstens von Schwester Dori ! - Am besten, Sie kommen erstmal mit. Als sie zu ihm ins Zimmer kamen und der Kleine ihr mit tränenüberströmtem Gesichtchen voller Erwartung entgegen sah, konnte sie einfach nicht „Nein“ sagen . Peterchen legte sich ganz von allein auf sein Bäuchlein, und die Spritze klappte ohne den geringsten Mucks ! Der Bann war gebrochen ! Ein besonders herzliches Verhältnis bekam sie zu Klein- Isa, die mit Zeichen schwerer Vernachlässigung zu ihnen auf die Station kam und in besonderem Maße pflegebedürftig war. Als Dada geneckt wurde, ,ob sie die Kleine nicht auch noch in den Schlaf singen wolle, fand sie das eine gute Idee; die anderen Kinder auch; denn alle hörten gerne zu oder sangen mit, Doch als gerade an Dadas letztem Arbeitstag hier ein Kind an toxischem Scharlach starb, verspürte sie zum ersten Mal den dringenden Wunsch, nun auch selbst Medizin zu studieren.
Für die verbleibenden drei Monate war nocheinmal eine Infektionsstation vorgesehen, die gerade mit einer Klasse von Berufsschülern voll belegt worden war, die sich durch ein Kantineessen mit Typhus infiziert hatten. Der Abschied von den Kindern war Dada nicht ganz leicht gefallen, aber nun kam noch ein dauerhaftes Trauma dazu.Sie wurde nochmal auf ihre vorherige Station geschickt, um hier im Stationszimmer einige Formulare abzuholen. Aber plötzlich ertönte dort ein durchdringendes, herzzerreißendes Rufen und Schreien: Die kleine Isa hatte Dadas Stimme erkannt.Aber sie durfte nun die Patientenzimmer nicht mehr betreten und konnte sie nicht trösten. - Jetzt wurden es die zum Teil sehr kranken Schüler, die sie brauchten.Besonders zwei von ihnen, die in hohem Fieber lagen, von schrecklichen Wahnideen geängstigt wurden und daher glaubten, ausreißen zu müssen. Andere aber, die schon auf dem Weg zur Besserung waren, durften bereits aufstehen und warteten sehnlichst auf die Besuchstage, denn da das Krankenhaus direkt an einer Verkehrsstraße liegt und die Zimmerfenster ihrer Station im ersten Stockwerk den Blick auf die Straße erlaubten,konnten sie ihren Eltern dann wenigstens zuwinken.Auf der Gegenseite allerdings lag das riesige Terrain einer russischen Panzerkaserne, und fotografieren war dort verboten .An einem dieser Besuchstage gab es furchtbare Aufregung : Einer der Schüler kam völlig außer sich ins Stationszimmer gerannt: Die russischen Soldaten hätten seinem Vater den Fotoapparat weggenommen und den Vater dann mit in die Kaserne genommen!- Der Vater hatte versucht, seinen Sohn heimlich zu fotografieren. Als der Junge durch nichts zu beruhigen war, nahm Dada ihren ganzen Mut zusammen, suchte im Gedächtnis die wenigen noch aus dem Russischunterricht abrufbaren und jetzt erforderlichen Vokabeln zu finden , ließ sich von den Wachsoldaten am Eingang der Kaserne zu irgendeinem Verantwortlichen bringen und versuchte , diesem die Situation verständlich zu machen. Sie hatte wirklich großes Glück und durfte schon bald mit dem Vater die Kaserne verlassen. Doch noch ehe sie das Krankenhaus und Jena verließ , um nun die chururgische Ausbildung in Bad Salzungen, anzutreten , gab es eine ganz andere Aufregung im Haus. An der Rückseite des Hinterhofes vom Hauptgebäude stand eine große, stabile Holzbaracke, in der sich eine Männerstation befand. Hier hatte sich eine Krankenschwester während ihres Nachtdienstes öfters bei einem Patienten, der verheiratet war und einige Kinder hatte, längere Zeit aufgehalten. Doch eines nachts stellte sich die Ehefrau mit all ihren Kindern auf dem Klinikhof unter dem Fenster dieses Patienten auf, und die Kinder riefen durchdringend nach ihrem Papa. Doch vielleicht und hoffentlich gab es auch hier ein gutes Ende.
Als sie gerade ihren Dienst auf einer chirurgischen Station in Bad Salzungen angetreten hatte, wurde Dada zum Operationssaal gerufen. Der Assistenzarzt war nicht erschienen, und es stellte sich dann heraus, er war von einem Westbesuch nicht zurück gekommen. Es war aber eine wichtige Operation vorbereitet. Da Chefarzt Dr. Ellerau wußte, daß sich Dada anschließend zum Medizinstudium bewerben wollte, setzte er sie kurzerhand zum Hakenhalten ein . Trotz eines riesigen Anfangsschreckens hielt sie aber tapfer durch, und es wurde vereinbart, daß sie hier weiter arbeiten würde, bis eine Ablösung möglich wäre. Voller neuer Eindrücke , auch Arno, der sie am Wochenende zur Heimfahrt nach Merkers abholte, war inzwischen in der Welt der Kranken und Krankheiten angekommen und hatte viel zu berichten. So saßen beide dann am Sonnabend im Zug und freuten sich auf ein paar fröhliche und unbeschwerte Stunden in Dadas Elternhaus. Aber als sie dort ankamen, waren die Eltern gerade im Aufbruch, und die Mutter erklärte ihnen eilig, daß sie morgens in der Sprechstunde von einem unglaublichen Geschehen im Nachbardorf Dorndorf gehört hätten: Durch die sofortige Durchführung der angedrohten, massiven Verschärfung der Grenzsicherungen . die nach Adenauers Beitrittserklärung am 26.Mai 1952 zur E V G , einer mit der amerikanischen Verteidigung verbündeten „Europäischen Verteidigungs Gemeinschaft“ , umgehend einsetzte, geriet Dorndorf in eine fünf Kilometer breite Sperrzone entlang der gesamten Staatsgrenze. Aktion „Kornblume“ am 7.Juni 1952 Am Vortag waren tausende Familien dieser Sperrzone ohne Angabe der Begründung oder des Zielortes aufgefordert worden, bis morgens um sechs Uhr ihre Häuser oder Wohnungen zu räumen, da sie in Güterwagen ausgesiedelt würden. Wie Patienten erzählt hatten, waren es in Dorndorf sechzehn Familien, und die ersten waren schon in aller Frühe in einen Eisenbahnwaggon verladen worden.Doch die Arbeiter der Nachtschicht und eine Schulklasse mit Lehrer hatten alles wieder ausgeräumt und zurückgebracht, sowie die Weichen der Bahn umgestellt. Als der zur Hilfe gerufene Landrat, auf dem Dach seines Autos stehend, die aufgebrachten Menschen beruhigen wollte, wurde sein Auto umgekippt und er mußte ins Gemeindeamt flüchten. Ein Löschfahrzeug sollte nun die wütende Menge auseinander spritzen. Aber mit ausgerissenen eisernen Zaunsstaketen wurden die Schläuche zerstochen. Nach diesen schier unglaublichen Berichten außer sich, war Mutter Magda nach der Sprechstunde ins Dorf gehastet. Da das Arztehepaar mit seinen Kindern die Nazizeit nur durch die Solidarität der Kaliwerksleitung und der Dorfbevölkerung in Merkers unbeschadet überlebt hatte, war sie jetzt davon überzeugt, daß endlich ein menschlicher deutscher Rechtsstaat entstehen würde, und war tief enttäuscht : „Man könne doch nicht schon wieder einfach zuschauen, wenn Menschen ohne Schuldbeweis und Gerichtsurteil einfach aus ihrer Heimat vertrieben würden !“ Erleichtert kam sie schon bald zurück: „Die Merkerser treffen sich um 15oo Uhr unten an der Linde. Wir wolln die Menschen in Dorndorf unterstützen!“ Gerade um diese Zeit trafen Dada und Arno zu Hause ein und schlossen sich , als sie von den Ereignissen erfuhren, ohne auch nur zu überlegen den Eltern an, die offenbar an der Linde, dem damals üblichen Treffpunkt der Merkerser, schon von einer beachtlichen Menschenmenge erwartet wurden. Sogar Bürgermeister Eitzert und Schulleiter Vogt hatten sich hier eingefunden und in kürzester Zeit formierte sich jetzt hinter ihnen ein Zug von etwa zweihundert Merkersern , der sich nach Dorndorf in Bewegung setzte, und dem sich die beiden Besucher am Ende anschlossen. Am Dorndorfer Bahnhof , dem Zentrum des Widerstandes, hier hatte man durch Verstellen der Weichen jede Zugausfahrt verhindert, erfuhren sie jedoch, daß die gesamte Räumungsmanschaft inzwischen abgezogen sei, vereinbarten aber, falls die Aussiedlung nochmal versucht werden sollte, daß man Merkers telefonisch informieren würde.Dieser Bescheid wurde bis zum Zugende durchgesagt und der Rückzug angetreten, wobei unterwegs schon festgestellt wurde. daß man nachts die Menschen höchstens durch Kirchenglocken oder öffentlichen Feuermelder wieder zusammenrufen könne. Wieder zu Hause wurden die Vier schon sehnlichst von den Großeltern und den vier jüngeren Geschwistern zum Abendbrot erwartet. Dann blieb man noch etwas in fröhlicher Familienrunde sitzen, und ohne Dorndorf noch einmal zu erwähnen verschwand einer nach dem anderen in den oberen Schlafräumen. Kurz nach Mitternacht klingelte das unten im Flur installierte Telefon. Der Vater eilte nach unten und wiederholte laut und für die oben Lauschenden gut verständlich ,den aufgeregten Ruf aus dem Telefonhörer: „Jetzt kommen die Russen!“ Dada war noch angezogen, völlig überrascht, dachte an die Gespräche vom Nachmittag,und rannte wie automatisiert, ohne jede Absprache mit Arno oder den Eltern, die Treppe hinunter, aus dem Haus und ins Dorf. Unterwegs erst überlegte sie, was sie am besten machen solle : Kirchenglocken? Die Kirche war zwar politisch neutraler, die Aktion wäre also ungefährlicher, aber sie war verschlossen. Die Küsterin hätte sie erst aufschließen müssen und wäre unfreiwillig zur zur Mitwisserin geworden und in Gefahr geraten. Also lieber zur öffentlichen Sirene, die auf dem Platz vor dem Gemeindeamt sofort erreichbar an der Hauswand angebracht war. Da die Nacht stockdunkel war, keinerlei Beleuchtung brannte und ihr unterwegs kein Mensch begegnet war, konnte sie niemand gesehen und noch weniger erkannt haben, und hier brauchte sie keinerlei Hilfe. Jetzt also nur schnellstens nach der bekannten Aufschrift:Scheibe einschlagen und Knopf drücken! Doch die Scheibe erwies sich als ziemlich stabil. Da fiel ihr zum Glück ein, daß sie gegenüber in der Einfahrt zum Bauerhof Schulz ein Häufchen kleiner Pflastersteine gesehen hatte. Schnell einen geholt. Scheibe zerschlagen, Knopf gedrückt und abgehauen! Jedoch die Sirene jaulte nur kurz auf ! Also wieder zurück und nun wieder und wieder in Abständen den Knopf gedrückt, bis Arno sie gefunden hatte und sie wegzerrte, um nach Hause zu hasten, wo die Eltern schon warteten, um gemeinsam, als wäre nichts geschehen, wieder zum Treffpunkt Linde zu laufen. Sie wurden nicht enttäuscht. Etwa hundert Menschen hatten sich sogar nachts wieder hier eingefunden. Wieder setzte sich der Zug Richtung Dorndorf in Bewegung.Wieder liefen Dadas Eltern vorne, während sie und Arno sich wieder erst am Ende einreihten.Durch die Dunkelheit konnte man zwar kaum jemanden erkennen, aber jetzt lief Bauer Emil Fack, Vater ihrer Klassenkameradin Hilde, neben ihnen, begleitet von seinem Neffen Dieter Grille, der nachmittags während einer Klassenfahrt auf der Wartburg schon angesprochen worden war, was denn da an der Grenze los wäre? Schon auf halber Strecke hörte man von der Frankfurter Hauptstraße her das Dröhnen und Rasseln von Kettenfahrzeugen, und dann kam ihnen bereits ein Armee-Lastwagen entgegen, auf dessen offener Ladefläche ein gefesselter Mann stehend angebunden war. De Kampf war verloren! Am nächsten Morgen rief der Bürgermeister bei Dr.Deilann an, daß er gleich zu ihm aufs Amt kommen möge, und bat den Arzt, falls er in der Praxis erfahren sollte, wer nachts die Sirene ausgelöst habe, möchte er diesem dringend raten. hier zu verschwinden. Eben sei er von einem russischen Suchkommando intensiv nach ihm befragt worden, aber er hätte ja leider keine Auskunft geben können. Nach dieser Warnung war die Familie zuerst ratlos: Konnte auch keiner Dada erkannt haben, so lag der Verdacht wohl auf der Hand. Würde ihn jemand verraten? Nach langem Beraten verließ man sich auf die Solidarität der Merkerser und irrte sich da nicht Der Mantel des absoluten Schweigens lag viele,viele Jahre über diesem Geschehen und wurde erst 1990 nach der Wende von dem damaligen Schüler,heute Professor in Erlangen , Dieter Grille, wieder gelüftet.
16. Kapitel Z W A N G S A U S W E I S U N G ! W O H I N ? ? ? Gegen Mitternacht hörte man in Dorndorf , daß sich große Fahrzeuge und auch Panzer näherten . Die sowjetische Armee griff ein. Ein paar Burschen läuteten die Kirchenglocken und die Einwohner sammelten sich wieder. Vier Panzerspähwagen, sieben Militärfahrzeuge mit Soldaten, gefolgt von etwa sechshundert Polizisten mit Gummiknüppeln und Grenztruppen auf Lastwagen oder Krädern waren im Anmarsch. Ehe sie den Ort erreichten, nutzten drei der bedrohten Familien, die fünf jungen Männer, die Alarm geläutet hatten , sowie Kurt Müller , der wegen seiner Unterschriftensammlung am Morgen schon verhaftet - , dann aber wieder befreit worden war, die Zeit, um über die Grenze in den Westen zu fliehen, denn nach Ankunft dieser bewaffneten Übermacht würde jeder Widerstand sinnlos. Christian Hörschelmann und Katrin Karn, welche die Weichen blockiert und damit jede Zugausfahrt verhindert hatten, wurden jetzt umgehend verhaftet, gefesselt und abtransportiert. Sie verschwanden für eine Woche. Der Abtransport der noch verbliebenen , benannten Familien wurde nun rigoros mit offenen Lastwagen durchgeführt . Jede Familie wurde mit dem notwendigsten Hab und Gut auf die Ladefläche eines Lasters verfrachtet und dort von einem Uniformierten mit aufgepflanztem Gewehr bewacht.Danach wurde in der Dorfmitte ein Konvoi gebildet, zwischen jedem Laster fuhr ein bewaffneter Kradfahrer, und dann setzte sich die Kolonne mit unbekanntem Ziel in Bewegung. Auf der offenen Ladefläche eines dieser Lastwagen fuhr auch der Schneider Leubecher, Mitglied der religiösen Elim-Gemeinde, mit seiner Frau, den zwei siebzehn – und achtzehnjährigen Töchtern, sowie dem in aller Eile zu transportierenden Hausrat in Richtung Osten einem unbekannten Ziel entgegen. Die beiden Mädchen hatten ahnungslos in aller Frühe auf den Werrawiesen Heu gewendet, waren auf dem Heimweg vom Bürgermeister barsch gefragt worden, ob sie denn schon mit Packen fertig seien, und kurz danach flüsterte ihnen eine Nachbarin zu, daß sie raus müßten, sie sollten ihre Ausweise verstecken. Zu Hause empfingen sie fassungdlose Eltern, chaotisches Durcheinander sowie fremde Männer und Uniformierte, die ihren Besitz herausschleppten, Sofort mußten sie ihre Ausweise holen und abgeben.Jetzt saßen sie nun hungrig , nüchtern und verstört auf zwei alten Koffern. Auf freier Strecke machten die Autos dann kurzen Halt zum Austreten, und welch absurde Komik: Der junge Grenzer, der bei ihnen als Bewacher mitfuhr, drückte den Mädchen sein geladenes Gewehr in die Hände : Sie mögen es doch eben mal halten, er müsse nämlich auch schnell austreten! Und der Fahrer erzählte ihnen, daß er zum Holzeinschlag angefordert worden wäre. Nach einer schier endlos erscheinenden Fahrt hielt der Konvoi endlich auf dem Marktplatz von Sondershausen. Da der Bürgermeister erst am Vortag informiert worden war, wurde ihnen fürs erste das leerstehendes Pionierzimmer einer Schule, ohne Ofen und ohne Stühle, ihre eigenen waren in der Hast des Aufbruchs vergessen worden, zugewiesen. Hier mußten sie nun einige Tage zurecht kommen. Behandelt wurden sie wie Straftäter - denn irgendeinen schlimmen Grund mußte eine solche Aussiedlung ja schließlich haben ! Später bekamen sie wenigstens zwei Zimmer, allerdings in zwei verschiedenen Häusern, und Wasser gab es für sie nur von der Pumpe im Hof. Erst 1953 , nach dem Aufstand am 17.Juni , bekamen sie die Erlaubnis, in ihr Haus in Dorndorf zurückzukehren. Doch hier hatte man inzwischen eine Mutter mit fünf Kindern eingewiesen, für die erst eine andere Wohnung gesucht werden mußte. So konnten die ersten Monate erst nur die Eltern wieder in ihrem Heimathaus wohnen.
17.Kapitel JACOB , DIE KRAKE / 2.TEIL Als die vier Nachtwanderer niedergeschlagen, müde und unverrichteter Dinge von ihrem Marsch nach Dorndorf heimkehrten, wo Großeltern und Kinder inzwischen fest und friedlich schliefen, und nochmal in die Küche gingen, wo die Reste vom Abendbrot noch auf sie warteten, riß ihre Dohle Jacob sie mit freudigem Flügelschlagen und fröhlichem Gekrächze aus ihren niederschmetternden Gedanken. Dann flog sie vom Küchschrank ihrem Herrchen auf die Schulter und schnäbelte zärtlich sein Ohr. Etwas aufgemuntert über diesen freundlichen Empfang setzten sich alle nun noch einmal an den Küchentisch, Vater kraulte das Köpfchen von Jacob, der inzwischen glücklich gurrend auf seiner anderen Hand saß, und langsam kehrte bei den aufgewühlten Menschen das innere Gleichgewicht zurück. So kam nun ganz unvermittelt die Sprache auf ihren kleinen, erstaunlich klugen , aber dadurch leider auch problematischen Mitbewohner. Eine Geschichte ergab die andere, man konnte wieder lächeln und sogar lachen, als Vater Günther Deilmann von seinem treuen kleinen Freund erzählte : Als der Winter kam, mußte sich Jacob mit seinen Streichen auf Haus und Familie beschränken, Anlässe zum Lachen, oder aber auch zum Ärgern. Doch er war in die Familie aufgenommen worden wie ein Kind, mit seinen guten, aber auch schlechten Eigenschaften Indes wuchsen die Schwungfedern seines linken Flügels nach, und er konnte wieder fliegen. Nun erkundete er alles Wissenswerte der Umgebung, setzte sich danach auf die Fensterbank vor der Küche und begehrte Einlaß. Mittlerweile mußte der Garten bestellt werden.Der Großvater hatte ein Beet vorbereitet und begann, entlang einer Schnur, kleine Pflanzen in gleichem Abstand einzusetzen. Erfreut wunderte er sich über die ungewohnte Anhänglichkeit von Jacob der ihn getreulich auf dem Beet bis zum letzten Pflänzchen begleitete. Als er aber, am Ende angekommen, zurückschaute, um sich an seinem akkuraten Werk zu erfreuen, waren weder Jacob, noch ein einziges Pflänzchen zu sehen. Doch die Pflänzchen fand er , fein säuberlich gebündelt, am Anfang des Beetes wieder . Als sich die Kinder ein Kaninchen gewünscht hatten, saß bald eine Häsin mit vier halbwüchsigen Jungen in einem geräumigen Stall, die bei gutem Wetter einmal in der Woche Ausgang bekamen und auf dem Rasen des Obstgartens ausgesetzt wurden und sich an Klee und saftigen Gräsern erfreuen konnten. Am Abend mußte dann die ganze Familie zur Hasenjagd ausrücken, bis alle Häschen wieder im Stall waren.An diesen Tagen stolzierte Jacob zwischen den Häschen herum und freute sich, wenn er eines von hinten in die Bollen hacken konnte und es mit hohen Sprüngen flüchtete. Eines Tages wagte er sich auch an die alte Häsin.Sie saß ancheinend ahnungslos im Gras. Aber ehe Jacob zum Schnabelhieb ausholen konnte, flogen ihm die Hinterläufe der Hasenmutter um die Ohren . Seitdem machte er einen großen Bogen um die Häsin. Nur unsere Dogge Thula mußte oft machtlos von drinnen mit ansehen,wie Jacob ihre verbuddelten Knochen wieder herauszerrte und sie versteckte . Es gab noch einen anderen Tag, dem Jacob zu weiterem Schabernack erwartungsvoll entgegen sah : Wenn aus dem offenen Fenster der Waschküche die Dampfschwaden aufstiegen, konnte er seine Unruhe kaum zähmen. Er hüpfte über den Rasen, flog von einem Baum zum anderen und wartete : Endlich wurde die Wäscheleine gespannt und der Korb mit der sauberen Wäsche abgestellt. Ein Stück nach dem anderen wurde nun mit Wäscheklammern an der Leine befestigt, um in Sonne und Wind zu trocknen. Dann gingen die Frauen ins Haus. Jetzt war Jacobs Stunde gekommen. Im Nu verließ er seinen Beobachtungeposten und flog auf die Wäscheleine . Solange, wie die Kräfte seines Schnabels reichten, zerrte er an den Klammern, bis zu seinem Vergnügen einige der Wäschestücke herunterfielen und vom Wind über den Rasen geweht wurden, Nach getaner Arbeit machte er sich aus dem Staub und ließ sich einige Stunden nicht blicken . Die Nachbarin hatte Hühner. Sobald sie ihnen Futter gebracht hatte, flog Jacob, wenn ihm der Sinn danach stand, über den Zaun und verstreute es mit dem Schnabel in alle Himmelsrichtungen, Wenn ihn die Nachbarin zornig verjagen wollte, hüpfte er nur hinter einen Strauch und spazierte auf der entgegenliegenden Seite um den Busch herum. Auch ihre laschen Erdklumpenwürfe konnten ihn nicht beeindrucken. Erst, als ein Junge aus der Nachbarschaft eingriff, trat er den Rückzug an und wiederholte diesen Unfug nur noch dann, wenn der Junge außer Sicht war. So hielten sich Freude und Ärger die Waage. Sogar aus dem Dorf kamen Beschwerden, weil er dort Unfug getrieben hatte. Die Familie beriet nun und beschloß in der Hoffnung,, er werde sich einer Dohlenkolonie anschließen, ihn im Wald auszusetzen. Vater und Sohn fuhren im Auto mit ihm zu einem entlegenen Waldstück und wanderten dann mit ihm zu einer, wie sie dachten, geeigneten Stelle, streuten reichlich Futter aus und ließen Jacob frei . Während der sich mit den Leckerbissen beschäftigte, schlichen sich die beiden heimlich zum Auto, um schnell nach Hause zu fahren und - - - wurden dort schon freudig , hoch vom Küchenschrank , von Jacob begrüßt. Er mußte wohl, wie Brieftauben, ein Richtungsgefühl gehabt haben,dem er folgte, bis er die ihm bekannte Umgebung erreicht hatte. Nun war er also wieder zu Hause. Aber eines Abends saß er nicht wartend auf der Fensterbank. Die Türe wurde in der Nacht aufgelassen, aber Jacob blieb verschwunden. Erst viel später erfuhr die Familie, daß er auf einem Bauernhof bei einem seiner Streiche sein Leben lassen mußte, doch noch heute denkt sie gerne und voller Zuneigung an Jacobs anrührende Anhänglichkeit, aber auch an seinen einfallsreichen und ausgeklügelten Schabernack zurück. 18. Kapitel Nun ging der Juli dem Ende zu und mit ihm Dadas Ausbildungszeit . Sie war bis zum Ende im OP- Dienst geblieben. Am letzten Arbeitstag wurde sie von Chefarzt Dr.Ellerau, wohl als Belobigung und in der Annahme, als künftige Kollegin, auf freundschaftlich anerkennende Weise verabschiedet:“Meine liebe Schwester Dori, mal sehen , ob Sie gut aufgepaßt haben. Heute tauschen wir mal die Rollen : Sie klammern jetzt nach der Blinddarmoperation die obere Bauchschicht zu, und ich assistiere! Freudig erschrocken machte sich Dada ans Werk. Doch nach einem halben Jahr aufmerksamer Zuarbeit gelang ihr das ohne große Schwierigkeiten. Diese Geste des Vertrauens bestärkte sie in der Annahme, daß sie mit den sehr guten Beurteilungen und Zeugnissen nun auch zum Medizinstudium zugelassen würde, Da war natürlich die Enttäuschung doppelt groß, als ihr am gleichen Tag, wie die schriftliche Bestätigung ihrer Staatlichen Anerkennung als Krankenschwester, auch die Ablehnung ihrer Bewerbung von Jena zugeschickt wurde. Doch sie ließ sich nicht entmutigen , sondern erkannte auch die Möglichkeit, bis zur Neubewerbung im nächsten Studienjahr, jetzt als Vollschwester mit dem vollen Gehalt von hundertundzwanzig Mark, nochmal im Städtischen Krankenhaus zu arbeiten, auch, um weiter in Jena wohnen zu können. Arnos Studium dauerte ja noch mehrere Jahre und er wohnte weiterhin bei seinen Eltern, wo sie sich nicht zu Hause fühlte. So arbeitete und wohnte sie nun bald wieder in Zwätzen und wurde jetzt auf einer Männerstation eingesetzt. auf der es wesentlich ruhiger und weniger anstrengend zuging, als bei den Kindern. Besondere Freude machte natürlich das erste,selbstverdiente Geld .Der Tag, an dem monatlich das Gehalt aufs Konto kam, wurde deshalb auch besonders gewürdigt: Am Jenenser Holzmarkt war vor einiger Zeit ein kleines HO-Kaffee eröffnet worden, von den findigen Jenensern bezeichnender Weise „Kaffee Bismarck“ genannt, - nämlich :“ Jeder Biß ne Mark“ ! Dort konnte man für Ostmark sonst nirgendwo erhältliches Feingebäck zu stark erhöhten Preisen bekommen. Hier leistete sich Dada nun jeden Monat zur Feier des Tages ein Stück Baiser-Torte mit Schlagsahne für fünf Ostmark, zuvor nur für Westgeld in den „Intershop“-Läden zu haben . Mit Arno kam sie inzwischen fast nur noch zum Wochenende zusammen, wenn sie gemeinsam nach Hause, zur Pate oder ihren Eltern fuhren. Meist machte in Merkers eine vergnügliche Familien-Doppelkopfrunde mit Mutters besonders gutem Essen , oft von recht heftigen, meist politischen Diskussionen begleitet, den Abschluß . Im Herbst aber gab es noch etwas Besonderes : Das „Siebte Kind“, die blaue Dogge Thula, hatte sich zu einer prachtvollen Hündin entwickelt und war auf der Hundeausstellung in Leipzig zur schönsten Deutschen Dogge der DDR gekürt worden. Nun wurden die Eltern gedrängt,wenigstens einen Wurf, als Vater ein gleichwertiger Rüde, zur Zucht aufzuziehen. Er wurde bald ausgemacht : Den weltbesten blauen Doggenrüden gab es in Holland ! Ein zeitraubender Papierkrieg nahm seinen Anfang. 19.Kapitel J E N A A M 17. J U N I 1953 Früh am Morgen des 17.Juni 1953, Dada hatte heute Mittagssdienst und wollte vorher nochmal zum Einkaufen mit der Straßenbahn in die Stadt fahren. An der Haltestelle wartete bereits ein älterer Mann, der ihr aufgeregt entgegenrief: „Haben Sie schon Radio gehört? – Nein?- In Berlin ist Aufruhr und die Arbeiter streiken! Da wird’s hier auch bald losgehen! So, wie 1918 , ehe der Kaiser fortgejagd wurde !“ Doch dann kam schon die Bahn. Auf der Fahrt zum Holzmarkt aber sah sie immer mehr Menschen, die an den Straßen standen. Dort angekommen, bahnten sich Kolonnen von Zeiß- und Schottarbeitern in Arbeitsmontur in langen Reihen und mit Rufen und Plakaten einen Weg durch die Menschenmassen, die sich auf dem Markt und dem angrenzenden großen Gelände , wo vor den großen Bombenangriffen einmal Jenas Altstadt gestanden hatte, schon angesammelt hatten. Aus den Fenstern der oberen Stockwerke der Kreisleitungsbüros flogen Hefter , Akten und stapelweise Papierbögen, die vom Wind durch die Luft gewirbelt wurden, zu Boden. Der Holzmarkt glich einem riesigen, brodelnden Topf . Voller Angst, nicht mehr zurückzukommen, stieg sie gleich in die sich auf dem Holzmarkt kreuzende Gegenbahn, fuhr wieder zur Klinik und meldete sich zum Dienst. Das Zimmer , in dem die beiden Kreissekretäre von Partei und deutsch-sowjetischer Freundschaft lagen, fand sie leer. Beide Patienten hatten das Haus verlassen. Doch nicht lange, da dröhnte lautes, metallisches Rasseln von der Straße.Der Boden bebte unter den Ketten der Panzer, die einer hinter dem andern aus ihrer Kaserne herausfuhren , sich ohrenbetäubend quietschend in Richtung Stadt drehten und dann in unübersehbarer Folge stadteinwärts rollten. Schreckerfüllt versahen die Pflegekräfte weiter pflichtgemäß ihren Dienst, aber ihre Gedanken waren nur bei den Menschen in der Stadt. Tatsächlich, schon bald erhob sich heftiger Geschützdonner, die Fensterscheiben klirrten und die Qual der Ungewißheit erreichte ihren Höhepunkt. Endlich, nach Stunden, wurde es wieder still draußen . Dann kam die Anweisung, zwei Krankenzimmer für acht leichtverletzte Männer bereit zu halten, und nun erfuhr man endlich, daß die russischen Panzer lediglich in die Luft geschossen hätten , um die Menschen auseiander zu treiben. Inzwischen kehrten die beiden Kreissekretäre, zwar mit blauen Flecken, in ihr Zimmer zurück, und gegen Abend wurden die acht Männer gebracht, die alle als Beruf „Behördenangestellter“ angaben, die von Schlägen gezeichnet, aber nicht ernsthaft verletzt waren. Bald lief wieder alles, als wäre nichts geschehen. Doch als zwei Tage später die Nachricht aus dem Radio kam, ein junger Mann aus Jena sei als Rädelsführer standrechtlich erschossen worden, konnte Dada ihre Tränen nicht zurückhalten. Erst am Freitagabend , es war inzwischen der neunzehnte Juni geworden, trafen sich Arno und Dada auf dem Holzmarkt wieder, um zusammen nach Hause zu fahren, immer noch mitgenommen von den Ereignissen der letzten Tage und voller Mitteilungsbedürfnis. Aber um ihre Erlebnisse und Eindrücke ohne Zeugen erzählen zu können, liefen sie nun zu Fuß zum Westbahnhof . Arno war zwar während des 17.Juni zu seinen Vorlesungen im Klinikgelände der Universität gewesen und hatte von den Turbulenzen in der Stadt nicht viel mitbekommen. Aber während des Wechsels der Klinikgebäude hatte er erlebt, wie auf dem Klinikhof eine aufgebrachte Menschenmenge einen am Boden liegenden Mann als Denunzianten und Mörder beschimpfte, ihn schlug und ihn aufzuhängen drohte. Es war wohl einer der Professoren, der aus seiner Klinik kam und Einhalt gebot: „ In unserem Gelände wird Leben gerettet, nicht zerstört !!“ Er erreichte, daß die Menge den Hof verließ und dem Mann geholfen werden konnte. - Doch wodurch konnte sich solch ein Volkszorn bis hin zur Lynchbereitschaft entwickeln? Sie kamen auf die Vergangenheit zu sprechen : Es war wohl besonders die „ Aktion Korblume“, die im Juni 1952 den Menschen das Gefühl völliger Hilfs- und Rechtlosigkeit vermittelte. Danach, ab Juli 1952, der „Aufbau des Sozialismus“, nämlich konkret die Auflösung der Länder in Bezirke, - also neue Verwaltungen, Kollektivierung der Landwirtschaft und Förderung der Schwerindustrie. Dazu kam das Verbot der evangelischen Studentengemeinde, der E S G . angeblich eine illegale, politische Organisation . Eine Welle der Aggression baute sich auf. Auch Dadas Freundin Ruth aus der Schwestern Schulzeit hatte mit ihrem Freund Theo, Medizinstudent und Mitglied der „Jungen Gemeinde“, die DDR über Berlin verlassen . Die Zahlen der Verhaftungen und Republikfluchten stiegen rasant an. In diese aufgeheizte Situation fiel Anfang März die Nachricht,daß Stalin schwer erkrankt sei . Dada schlußfolgerte damals: Falls Stalin sterben würde, könnte er für alle Schwierigkeiten verantwortlich gemacht - , und die Situation wieder verbessert werden ! Schon am fünften März starb Stalin. Die Welt schien den Atem anzuhalten . Die neue sowjetische Regierung verordnete am 2.Juni in Moskau tatsächlich der DDR und Ulbricht einen „Neuen Kurs“ , da der beschleunigte Aufbau des Sozialismus wegen fehlender Voraussetzungen dafür , verfrüht, und damit falsch gewesen sei. Daraufhin wurden am 11.Juni 1953 Fördermaßnahmen für die Kleinindustrie und Gewerbetreibende verkündet, entlassene Lehrer und Studenten wieder aufgenommen und tausende Häftlinge entlassen. In der Sowjet Union leitete der nachfolgende Generalsekretär der KPdSU, der Regierungspartei , Chruschtschow, mit der Verurteilung des Personen- Kultes schon die Entwertung Stalins ein . Erleichtert atmete die DDR - Bevölkerung auf . Da war es nun völlig überraschend und unverständlich , daß der Ministerratsbeschluß vom 9.April beibehalten werden sollte, nämlich bis zum 30.Juni 1953 die Arbeitsnormen bei gleicher Bezahlung um 1o Prozent zu erhöhen . Der Zorn war grenzenlos , da jetzt aber die Bedrohung geringer war, wurde weit und breit protestiert. Am Westbahnhof angekommen, wurden ihre Betrachachtungen dann durch die Bahnfahrt unterbrochen , aber eingetroffen zu Hause in Merkers warteten ihre Eltern schon, obwohl sie durch Fernsehen und Radio über die zentralen Ereignisse bereits bestens und umfassend informiert waren, auf die Berichte ihrer Kinder von ihrem persönlichen Erleben in Jena . Doch etwas waren auch die Medienberichte für sie von persönlichem Interesse, denn ihr einstiger Jugendfreund. Wilhelm Zaisser, war der Sicherheitsminister der DDR. Einst legendärer „General Gomez“, Oberbefehlshaber der internationalen Brigaden in Spanien, hatte er die Nazizeit mit seiner Familie in Moskau als Militärberater überlebt, durfte 1947 wieder nach Deutschland zurückkehren, wurde 1950 Sicherheits- Minister und hatte damals für einiges Aufsehen in Merkers gesorgt , als er dort in großem Regierungsauto, in Begleitung einerSchutz-Eskorte , das Arztehepaar davon überzeugen wollte, allerdings völlig vergeblich , daß es jetzt in Berlin gebraucht würde Gegenwärtig aber, am16.Juni1953, hatten morgens sechzig Bauarbeiter der Stalinallee in Berlin gestreikt, eine Delegation mit der Forderung der sofortigen Aufhebung der Normerhöhung zum Regierungsgebäude geschickt , und weil erfolglos , alle Arbeitskräfte des Landes zum Generalstreik am 17.Juni aufgerufen . Dieser Aufruf war Anlaß für Semjonow,dem für die DDR zuständigen Hohen Kommissar der S U , das ZK der DDR sofort zur Instruktion in seinen Amtssitz nach Karlshorst zu befehlen. Ulbricht bittet hier um die Schießerlaubnis für die Polizei und evtl.den Einsatz sowj.Soldaten, doch Zaisser wie auch Grotewohl widersprechen , und Semjonow lehnt beides definitiv ab : Diskutabel nur bei Angriff oder Eingriff fremder Truppen . Am 26.Juli 1953 enthebt Ulbricht wegen Parteizersetzung Zaisser aller Ämter, auch seine Frau,die Ministerin für Volksbildung Else Zaisser und seine Tochter Renate, Dozentin, - bei der Einnahme Berlins Offizierin der Roten Armee . 20. Kapitel N U N D O C H L E H R E R I N Wieder war die Zeit der Studienbewerbungen gekommen, und wieder ließ die Ablehnung nicht lange auf sich warten. Aber Dada mochte noch immer nicht aufgeben. Im Jahr zuvor hatten es drei ihrer Mitschülerinnen erreicht, durch ein persönliches Gespräch mit dem Prorektor nachträglich noch Medizin studieren zu dürfen. Vielleicht könnte es ihr ebenso gelingen? Aber dieser letzte Versuch war auch vergeblich : „Ihr Vater ist Arzt?? - Sie können alles studieren, aber nicht Medizin .“ - - - Da entschied sie sich nun doch für den Traditionsberuf ihrer mütterlichen Familie : Lehrerin ! Und zwar in ihrem Schullieblingsfach Deutsch . Begünstigt hatte ihren Beschluß ein bedrückendes Vorkommnis während ihrer letzten Dienste im Krankenhaus . Als sie in ein Krankenzimmer gekommen war, sah sie mehrere der Patienten an einem Tischchen stehen, die sich dort angeregt beschäftigten. Sie dachte an ein interessantes Spiel , trat näher - und erstarrte. Die Männer hatten Fliegen gefangen , ihnen die Flügelchen abgeschnitten , und belustigten sich nun an ihren hilflosen und verzweifelten Versuchen, ihren Peinigern zu entkommen . Tief enttäuscht von diesen Menschen, die ja selber Hilfe brauchten und diese auch ganz selbstverständlich in Anspruch nahmen, mußte sie zur Kenntnis nehmen, daß die Erziehung zur Menschlichkeit offenbar mindestens so wichtig ist , wie die Heilung der Menschen . U N T E R M D A C H , J U C H H E ! Die letzten Tage im Krankenhaus jedoch waren auch beglückend für sie durch viel Zuneigung und Dankbarkeit . Ganz unverhofft kam sie jetzt sogar durch einen Patienten noch zu einer kleinen Studentenbude . Er lag wegen einer offenen Tuberkulose in einem Einzelzimmer und wurde mit Streptomycin behandelt .Das Pulver mußte aufgelöst werden, und da die Lösung leicht klumpte, mußte sie mit nicht zu dünner Kanüle und recht schnell gespritzt werden, was bei dem völlig abgemagerten Kranken für beide Seiten sehr unangenehm war. Trotzdem freute sich Herr Roth immer, wenn Dada zum Spritzen kam und ermunterte sie jedes Mal, sie möge keine Bedenken haben , es würde doch immer bestens klappen. Als er hörte, daß sie nun studieren würde, allerdings noch kein Zimmer in Jena gefunden habe, bot er ihr an, wenn sie kein besseres fände, in sein kleines Dachkämmerchen zu ziehen . Er könnte darin ohnehin nicht wieder wohnen . Es war eine separate kleine Kammer , zwar mit einem Öfchen, doch ohne Wasser, den die Mieter der Dachwohnung, ein liebenswertes älteres Ehepaar, nicht brauchten und sie weiter vermieteten . Eingerichtet war sie mit einfachen , derben und dunklen Holzmöbeln, nämlich mit Schrank . Bett und Tisch mit zwei Stühlen , sowie einer kleinen Kommode mit Wasserkanne und Waschschüssel . Also alles, was sie brauchte . Wegen Wasser konnte sie morgens an der Nachbartür klingeln. Da alle damit einverstanden waren, tapezierte sie mit Arno den Raum und konnte nun ihr erstes eigenes kleines Reich beziehen. 21. Kapitel P Ä D A G O G E N U N D D I P L O M A N D E N Voller Elan und mit besten Vorsätzen begann Dada nun im Herbst ihr Studium an der Friedrich – Schiller Universität in Jena , und es wurde eine wunderschöne Zeit . Ohne jegliche Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten konnte sie nun lernen und sich mit allem beschäftigen , was sie interessierte und was sie gerne machte Mit . großer Freude stellte sie fest , daß es außer ihrer Gruppe , den zukünftigen Lehrern, eine zweite Seminargruppe der Germanistik gab , die Diplomanden, die späer unter anderem bei Film, Fernsehen oder auch in Verlagen arbeiten wollten . Die Hauptfächer hörten beide Gruppen gemeinsam , während die speziellen Fächer fakultativ- , also wählbar waren. Dada fühlte sich , wie im Schlaraffenland. Bei den Lehrern gab es zwar keine Wahlfächer , aber bei den Diplomanden konnte sie zusätzlich Vortragskunst und Sprachkrankheiten belegen und hörte bei Film und Theater immer mal mit . Wenn sie ein Thema interessierte und es ihr am Herzen lag, ging sie auch mal mit Arno in dessen Vorlesungen . Auch konnte sie ihren seit früher Kindheit geliebten Wassersport wieder aufnehemen , was aber bei Arno leider auf strikte Ablehnung stieß . Dafür aber wurde sie nun Mitglied der Tanzgruppe des Max-Reimann - Studenten-Ensembles und geriet fast in einen Glücksrausch, als sie bei einer Generalprobe, zum ersten Mal begleitet von der mitreißenden Musik des gesamten Ensemble-Orchesters, mittanzen durfte Danach drei Wochen Tanzen imTrainingslager in Dingelstädt machten ihr Glück komplett , Das neue Studienjahr begann mit einer für sie aufregenden Ankündigung : Die Stipendienordnung würde zugunsten der Unterstützung von mehr Nachwuchs bei der Intelligenzjugend geändert, und Studentenehepaare mit Kindern , unabhängig vom elterlichen Einkommen , ab nächstem Semester besonders gefördert .Das war für Arno und Dada endlich die Gelegenheit , eine Familie zu werden. Bisher hatte Dada das Geld , was sie zum Leben brauchte, von ihren Eltern monatlich überwiesen bekommen , und Arno , der anfangs ein Leistungsstipendium von 180,00 Mark bekam ,hatte inzwischen nur noch das Grundstudium von 120,00Mark monatlich zur Verfügung .Das hätte für eine Familie nicht gereicht . Jetzt konnte man sie also mit gutem Gewissen planen . Umgehend beantragten sie schon mal die Trauung auf dem Standesamt , um danach eine gemeinsame Wohnung beantragen zu können . Der erste freie Termin auf dem Jenaer Standesamt war Anfang Februar 1955 . und wurde ohne große Feier , aber in großem Glück wahrgenommen .da bei Dada inzwischen eine Schwangerschaft festgestellt werden konnte . Schon im nächsten Monat machte sich die finanzielle Verbesserung für sie bemerkbar. Doch da die Gesamtsumme der Stipendien nicht erhöht werden durfte , protestierten die meisten der Empfänger , deren Stipendium durch diese Maßnahme gekürzt werden mußte ,umgehend energisch dagegen und drohten sogar mit Studienabbruch . Ohne jedes Aufsehen, wie sie gekommen war, verschwand diese Reform wieder . 22.Kapitel U N I A D E E ! Für das junge Brautpaar fielen nun alle ihrer schönen gemeinsamen Luftschlösser zusammen . Wichtig war jetzt nur noch . daß Arno sein Studium ungestört beenden könnte ,und daß das Mitte September zu erwartende Baby glücklich aufwachsen würde . Dada müßte auf jeden Fall ihr Studium nach dem zweiten Studienjahr unterbrechen und könnte es fortzusetzen , wenn Arno in seinem Beruf arbeiten würde. Außerdem hatte sie ja auch schon einen abgeschlossenen und sehr gefragten Beruf , den sie jederzeit einsetzen könnte . Entbinden wollte sie auf jeden Fall im Merkerser Elternhaus , in dem der Vater als erfahrener Geburtshelfer ja auch schon seine vier jüngsten Kinder , sowie seinen ersten Enkel erfolgreich auf die Welt gebracht hatte . Bis dahin aber könnte erstmal alles , wie bisher, weitergehen .Nur ihre eigentliche große Hochzeitsfeier sollte Mitte März , einenTag nach dem 55.Geburtstag der Mutter , gefeiert werden . Doch dann ergab sich noch eine andere Neuigkeit . Eines Tages kamen Schwester Hella und Dick unerwartet zu Besuch , um ihnen für den Juni eine gemeinsame Reise anzubieten . Dick arbeitete inzwischen als HNO – Facharzt in Pößneck und hatte die Erlaubnis erhalten , mit Ehefrau einen wichtigen Ärztekongress in Konstanz zu besuchen Daran anschließend wollten sie mit Auto und Zelt die Schweiz , Italien und Frankreich etwas kennenlernen. Sie hätten aber, nur zu zweit , etwas Bedenken , zumal Hella im September ihr zweites Kind erwarte . „Wollt ihr mit dem Zug nach Konstanz nachkommen und mit uns fahren?“ So ein Angebot konnte man wohl nicht ausschlagen ! „ J A!! ,wir woll’n!“ Mit großem Bedauern allerdings mußte sich Dada jetzt erstmal an den Gedanken gewöhnen , daß für sie nun bereits in einigen Wochen diese ihr so liebgewordene Zeit der Wissensbereicherung zu Ende ging, obwohl sie in ihrer Seminargruppe nicht so recht warm werden konnte . Sie fühlte sich hier, wie in einer Schulklasse von Strebern . Besonders die Vorbereitung eines Ernteeinsatzes im Herbst hatte sie tief enttäuscht . Man war verständlicherweise bestrebt ,daß sich die Gruppe vollzählig daran beteiligte, doch als Klaus um Befreiung bat , da er schon ältere Eltern habe, die aber noch allein ihren kleinen Bauernhof bewirtschafteten und die ihre Ernte ohne Hilfe des Sohnes nicht einbringen könnten , und daß es doch am wichtigsten sei , daß alle Ernten geborgen würden . brach ein Sturm der Entrüstung über ihn herein . Einer nach dem andern brachte mit jeweils anderen Worten zum Ausdruck , daß Klaus wohl die Wichtigkeit von Volkseigentum, sowie die von der Bildung und Leistung eines Kollektivs nicht anerkenne. Keiner aber, der sich um Verständnis für ihn einsetzte . Auch Dada leider nicht .Aber sie hatte gerade, ähnlich, nicht den geforderten Erwartungen entsprochen , nämlich nicht durch ihre Unterschrift versichert, daß sie ihr Vaterland im Bedarfsfall mit der Waffe verteidigen würde, sondern im Gegenteil erklärt , daß sie als Krankenschwester im „Roten Kreuz“ jedem Freund oder Feind helfen , - aber nie auf Menschen schießen würde . Diese Einstellung war bei ihr akzeptiert worden, ihr Bruder dagegen wurde später dafür exmatrikuliert. Wie ein dunkler Sshatten legte sich zusätzlich eines Tages die furchtbare Nachricht über diese Gruppe , daß sich ihre fröhliche und hübsche Studentin Erika , die schon bald nach Studienbeginn mit einem der Mitstudenten zu einem schier unzertrennlich scheinenden Seminarpärchen wurde , sich auf der stark abschüssigen Bahnstrecke von Großschwabhausen nach Jena , wo der Zug nur mühsam abgebremst werden konnte , aus Liebeskummer überfahren ließ . Um so mehr bedauerte sie den Abschied von der zweiten , deutlich mehr aufgeschlossenen Seminargruppe , vorallem aber von ihrer Teilnahme an den Seminaren für Vortragskunst von Frau Professor Weithase, in denen sie gelernt hatte , ihre Scheu endlich völlig zu überwinden , auch die eigenen Gefühle , die eine Dichtung in ihr erweckten, den Zuhörern erlebbar zu machen . Doch nun mußte sie sich erstmal auf einen ganz neuen Lebensabschnitt vorbereiten, konkret jedoch - zunächst die Koffer packen 23.Kapitel An einem lauen Juni –Sommerabend war es endlich soweit : Das junge Studentenehepaar stand auf dem Bahnsteig in Saalfeld und wartete auf die Einfahrt des Interzonenzuges nach München , um eine quasi verspätete , doch gegenwärtig höchst ungewöhnliche Hochzeitsreise anzutreten. Arno mit dem schweren Koffer voller Klamotten für eine längere Zeltreise , Dada, außer ihrer Handtasche, mit einem Köfferchen , in dem sie alles , was sie an Konserven und Räucherwaren für die Fahrt zu Viert beisteuern konnten , eingepackt hatte . Für unterwegs etwas mitzunehmen , war ihnen abgeraten worden, da ja die Interzonenzüge einen Speisewagen hätten , in dem man für Ostgeld bestens , sogar in den Zugabteilen , versorgt würde .Der Zug lief pünktlich ein , war aber , wohl durch das bevorstehende Pfingstfest , zur großen Überraschung der vielen auf dem Bahnsteig noch Wartenden , schon voll besetzt . Mit etwas getrübter Reiselust waren die beiden zuletzt froh, daß sie mit ihrem Gepäck noch zu einem Stehplatz in den Zug kamen .Aber die Fahrt bis zum Grenzbahnhof Probstzella war nicht lang .Doch dort tönten schon die Lautsprecher, daß alle Reisenden ohne Sitzplatz aussteigen und sich in der Bahnhofshalle aufhalten müßten , bis auf den Plätzen des folgenden Zuges die Fahrt fortgesetzt werden könnte. Also ausgestiegen und gewartet . Nun kamen zwar mehrere Züge , aber alle waren überfüllt, und die Menge der Wartenden im Bahnhof wurde immer größer. Gegen Morgen dann endlich die ersehnte Durchsage, daß im nächsten Zug alle, auch ohne Sitzplatz , ausreisen dürften . Man möge sich deshalb schon zur Kofferkontrolle anstellen und könne danach bereits auf dem Bahnsteig warten. Am Ausgang zum Bahnsteig wurden jetzt zwei Tische aufgestellt, und eine Polizistin kontrollierte nun Koffer für Koffer und übriges Gepäck der langen Warteschlange , die sich hier im Nu zusammengedrängelt hatte . Als die vor Dada wartende Frau aber den Inhalt ihres Koffers auf dem Tisch ausbreitete , darunter auch Dauerwürste und Konserven, die heraus genommen und beschlagnahmt wurden , war Dada, die sich die Ausfuhr – Bestimmungen nicht gründlich genug durchgelesen hatte, so erschrocken , daß sie ziemlich laut fragte:“Das darf man wohl nicht mitnehmen??“ Doch während die Frau vor ihr den Tisch räumte und Dada der Polizistin noch schnell erklären wollte , daß sie nicht etwa vorhätte , den Inhalt ihres Koffers zu verschieben, sondern daß er zum Selbstverbrauch beim Zelten vorgesehen sei , übersah sie fast, daß diese sie mit freundlicher Miene ohne Kontrolle durchwinkte . Schier ungläubig und erleichtert lächelte sie dankbar zurück, - doch nun hieß es weiter : Stehen und warten ! Als gegen Morgen endlich wieder ein Zug einfuhr , war der zwar auch schon überbesetzt , aber alle Wartenden durften jetzt ungehindert einsteigen und in drangvoller Enge stehend , in den Westen fahren , allerdings ohne jede Möglichkeit , wie angenommen, im Zug etwas zu essen oder zu trinken kaufen zu können. Erst auf dem ersten Westbahnhof konnte Arno von etwas Westreisegeld , das aber bei Rückkunft voll zurückgetauscht werden mußte, einen kleinen Ohnmachtsbissen vom Bahnsteig erstehen . In München angekommen , wurden sie dort schon , wie vereinbart , von Schwager Dick , der seine Teilnahme am Ärztekongress in Konstanz am Vortag bereits abschließen konnte, und Schwester Hella bereits erwartet . Nach einem kurzen Imbiß im Bahnhof brachten sie ihre Papiere auf der Stadtverwaltung in die erforderliche Ordnung, und alle viere hatten nun für die Grenzübertritte die dafür notwendigen Reisepässe Dann begann der Aufbruch mit dem zwar gebrauchten, für Dick aber neuen, gerade erworbenen schwarzen „Opel–Kapitän“ , zu einer , eigentlich für DDR –Bürger streng verbotenen Reise über die deutsche Grenze hinaus in kapitalistisches Ausland ohne Genehmigung der DDR-Behörden, die sie aber niemals , zumal zu viert, bekommen hätten .
V O N V A D U Z Ü B E R D I E A L P E N N A C H G E N U A
Abfahrt in Vaduz: Hella, Arno und Dada: Als erstes sollte die Fahrt jetzt in die Schweiz gehen, in der Dick .studiert hatte , und in der er sich gut auskannte . Aber es war Mittagszeit und alle hatten inzwischen tüchtig Hunger und stimmten gerne Dicks Vorschlag zu , zuerst in Singen an einer Werksbesichtigung des dortigen Maggi –Werkes mit anschließender Verkostung teilzunehmen . Bei derWeiterfahrt zu den Alpen durfte natürlich ein kleiner Aufenthalt am Rhein-Wasserfall bei Schaffhausen nicht fehlen , um bei der drückenden Sommerhitze die kühlende Erfrischung der im Fall ausstäubenden Wassermassen zu genießen. Als sie abends in Vaduz ankamen, ihrem Startort für die Alpenüberfahrt über den „Kleinen Bernadino“-Paß , dunkelte es bereits , zu spät, um noch das Zelt aufzustellen. Doch in einer Jugendherberge -Schlafstation , ohne jede Versorgung, fanden sie noch Platz in zwei Schlafsälen , einer für Jungen , und einer für Mädchen , um in Decken auf dem Bodenlager zu schlafen. Die Ehepaare mußten sich trennen - und außer ein paar Mäuschen störte sie nun keiner im Schlaf ! Bei der Fahrt über die Alpen überraschte sie besonders der Wetterwechsel : Über die Alpen zur Via Mala: Hella vor dem Zelt: Die Fahrt bis zu den Schneeflächen des Kammgebietes, welche sich dann bei der nach Süden abnehmenden Höhe und zunehmenden Wärme in eine frühlingshaft grüne Berglandschaft verwandelten und nach einem Halt an der legendären, tiefen Schlucht „ Via mala „ dazu verleiteten, ihr erstes Zeltlager hier aufzuschlagen. Am nächsten Morgen aber waren beide Zelte eingeschneit . Doch je mehr sie sich dann dem Tal näherten, umso wärmer wurde es: Via Mala: Dick, Arno und Dada: Arno, Dada und Hella: Die Schweiz und das kleine Städtchen Locarno empfingen die kleine Gruppe dann mit herrlichem Sommerwetter, welche nun am Luganer See einen herrlichen Ferientag verlebte und sich zum Abschluß noch zu einem kleinen Stadtbummel entschloß . Kolonaden von Lugano: Dick stellte dort das Auto auf einem Parkplatz ab, verdeckte alles sorgfältig was die DDR-Herkunft verraten könnte, und darauf mischten sich die Viere nun unbesorgt in den pulsierenden Menschenstrom, der in gelöster Urlaubsstimmung unentwegt durch die bunten und lockenden Verkaufskollonaden zog. Plötzlich ein unüberhörbarer, begeisterter Ruf aus der Menschenmasse der entgegenliegenden Straßenseite : „Hallo, Herr Doktor Steimer, Sie sind ja auch hier??“ - Ein kurzer Schock ! Doch es war eine, ebenso wie Dick im Pößnecker Krankenhaus arbeitende Angestellte , die mit ihrem Bruder auch gerade hier unterwegs war !. Nach dieser vergnüglichen und erstaunlichen Episode verlief die Weiterfahrt jetzt zügig : - Ohne jeden Aufenthalt durch die bedrückend arme Po- Ebene, in der sich die beiden Männer sogar nachts beim Zelten vorsichtshalber zum Wachen ablösten. Doch danach blieben die vier Zelter, wo es ihnen gerade gut gefiel, und so lange,wie sie wollten. Dada beim Topfreinigen:
So erreichten sie nach ein paar erholsamen Tagen Genua und die Riviera , von wo sie dann, an der Küste des Mittelmeeres entlang, Monaco , dem einzigen konkreten Ziel, was sie sich für ihre Fahrt vorgenommen hatten , zusteuerten . , 25.Kapitel AM MEER ENTLANG NACH M O N A C O Ohne sich in Genua aufzuhalten, fuhren sie nun bis nach Nizza durch , um dort in einem wunderschönen Park Rast zu machen und sich auf den vorgesehenen Besuch bei dem ehemaligen Kriegsgefangenen Lousetti vorzubereiten . Im Park von Nizza: Dick, Dada und Arno: Doch das war eine lange Geschichte von vor etwa zehn Jahren, die nur Hella genau kannte, und die sie deshalb nun den Mitfahrerm ausführlich erzählte : Lousetti war damals, 1944 , französischer Kriegsgefangener in Merkers , und der Arzt und Geburtshelfer Dr.Günther Deilmann versorgte derzeit als einzig verbliebener Arzt, da er als „Mischling zweiten Grades“ wehruntauglich war, und alle anderen Ärzte entweder an der Front oder in Lazaretten eingesetzt waren, die Menschen im Kali-Werragebiet. Das hieß: Die ärztliche und geburtshilfliche Betreuung der Einwohner mehrerer Dörfer, sowie die Behandlung und der Notdienst für die Kumpel und Belegschaft der Kaliwerke in Merkers, Dorndorf und Springen mit ihren Arbeitslagern von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern , und das Tag und Nacht , ohne Pause , Urlaub oder eine Vertretung ! Hilfe und Unterstützung bekam er lediglich durch seine Frau Magda, und seit Ende 1944 von seiner ältesten Tochter Hella, die nach dem Abitur wegen der Luftangriffe auf Jena ihr Medizinstudium noch nicht beginnen konnte. Da die westlichen Kriegsgefangenen, Engländer,Amerikaner und Franzosen, begleitet von ihren Sanitätern , zur Behandlung zwar in die Praxis kommen, aber keinen Kontakt mit Deutschen haben durften, hatte der Arzt für sie morgens, vor der langen,offiziellen Sprechstunde , diese Möglichkeit eingeräumt. Doch es gab kaum eine Nacht, in welcher er nicht gerufen wurde. Daher war er manchmal, besonders nach schweren Geburten, noch nicht wieder zurück. Dann war es jetzt Hella, die sich, so gut sie konnte, schon um diese ersten Patienten kümmerte Weil sie sowohl Englisch- , als auch Französischunterricht gehabt hatte, konnte sie sich auch ganz gut mit ihnen verständigen . Besonders interessiert konnte sie sich mit Lousetti, einem französischen Gefangenen, über seine Heimat Monaco unterhalten. Beide vereinbarten sogar, falls irgendwann wieder Frieden sei, und er wieder zu Hause sein sollte, daß Hella sich dann von ihm die ganzen Besonderheiten und Sehenswürdigkeiten dieses kleinen Staates und der Stadt zeigen lassen wollte. Als der Krieg dann wirklich endlich zu Ende war, waren die vielen fremden Menschen in kürzester Zeit aus Merkers verschwunden und die leergewordenen Baracken nahmen einen Teil der vielen deutschen Flüchtlinge auf . So wurden auch die Kriegsgefangenen, und mit ihnen Lusetti, in ihre Heimatländer zurück gebracht. Schon bald schien das alles fast vergessen zu sein, als eines Tages, auch die Post arbeitete nun wieder, ein Brief an die Praxis und Hella aus Frankreich , aus Monaco, in Merkers ankam , sogar mit einem kleinen Paßbildchen, - in Zivil !- , von ihm. So wurde die Verbindung wieder aufgenommen, und als sich jetzt, trotz der massiven politischen Hindernisse, die Möglichkeit abzeichnete , nach Frankreich zu kommen, war in Erinnerung an die ehemaligen Gespräche ein Besuch bei Lousetti und seiner Heimat Monaco eingeplant worden .
Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel , als sie Monaco erreichten .Nachdem ein Parkplatz für das Auto gefunden war , machten sich die Vier nun in den , trotz der brütenden Hitze menschenwimmelnden Straßen, auf die Suche nach der Wohnung von Lousetti. In einer kurzen Seitenstraße mit eng aneinander stehenden Wohnhäusern fanden sie dann auch die gesuchte Hausnummer mit dem Namensschild Lousetti, und über eine kleine Treppe gelangten erst einmal nur die beiden Männer bis zur Haustür, um dort zu klingeln . Eine gepflegt wirkende Frau mittleren Alters, wohl seine Ehefrau ,öffnete, gab sich aber keine große Mühe, ihre Averssion zu verbergen, als diese ihr Anliegen vortrugen : Nein, Herr Lousetti wäre nicht da, und es wäre völlig unbestimmt, ob und wann er zurück käme.- Da wanderten sie also unverrichteter Dinge wieder Stadteinwärts zurück , als Dada plötzlich etwas unterdrückt rief :“Da drüben läuft er !!“ Hella verfolgte ihre Blickrichtung zögernd und zweifelnd, doch Dada, die Lousetti nur vom Foto her kannte, behauptete :“Das ist er !!“ Jetzt war auch der Mann, der ihnen auf der anderen Straßenseite entgegenlief, auf sie aufmerksam geworden, und Hella und Lousetti erkannten sich. Ein herzliches Wiedersehen folgte mitten auf der Straße. Doch Lousetti war auf dem Weg zu seiner Arbeit und mußte sich nach kurzer Zeit verabschieden. Entsprechend seiner Beschreibung kamen die deutschen Besucher nun schnell zum Schloß. Dort begann gerade die Zeremonie des Wachwechsels, den sie sich mit vielen Zuschauern aus aller Herren Länder bis zum Ende anschauten . Anschließend warfen sie noch einen neugierigen Blick in den mondän-verführerischen Eingangsbereich des Spielkasinos. Aber da die gemeinsame Kasse alles andere als üppig gefüllt war, konnte keiner von ihnen dazu verführt werden, seine letzten Groschen mit der Hoffnung auf den Gewinn seines Lebens zu verspielen. Wenn auch etwas enttäuscht, setzten sie ihre Fahrt entlang der Riviera noch bis nach Marceille fort, und Hella freute sich im Auto schon schwärmerisch darauf, daß sie nun sogar einmal im Leben eine echte Bouillabaisse , und das obendrein am Orginalort Marseille, probieren könne, und sie verglich die Bedeutung dieser wahrzeichenähnlichen Fischsuppe mit der Thüringer Bratwurst .
Hafen von Marseille Im alten Hafen von Marseille
Als sie in Marseille ankamen, war die Mittagszeit zwar schon lange vorbei, doch sie fuhren ohne Umwege gleich zum Hafen , denn dort würde die begehrte Fischsuppe sicher ganztägig angeboten . Aber das war leider ein Irrtum, und sie mußten lange suchen , bis sie endlich eine kleine Hafenkneipe fanden, in der sie sich, bei dazu passender Seemannsmusik, die Köstlichkeit schmecken lassen konnten.
Doch dann wurde es schon wieder Zeit, einen Schlafplatz zu suchen . Mit dem Verlassen der Meeresstrände und der Fahrt durch das Rhone-Tal begann jetzt die Rückfahrt . Am Rande einer, in wunderbarer Blüte stehenden Gartensiedlung, schlugen sie dann ihre Zelte auf. Doch als es am nächsten Morgen weitergehen sollte, sprang der Motor nicht wieder an. Das Kühlwasser war aufgebraucht, und der Ersatzkanister bereits leer. Dada wurde nun mit dem leeren Kanister in die Gartenanlage geschickt , um ihn dort wieder auffüllen zu lassen. Es war früher Morgen, aber sie brauchte gar nicht lange zu suchen, bis sie einen älteren Mann in einem der Gärten entdeckte, der dort schon seine Blumen goß. Auf ihr etwas verschüchtertes „Hallo“ reagierte er sofort, kam zum Eingang und öffnete die kleine Holzpforte mit freundlich-fragendem Gesichtsausdruck. Da sie kein Französisch konnte, brachte sie ihr Anliegen nach kurzem Zögern auf Englisch vor. Er nickte, nahm den Kanister und fragte beim Zrückkommen, ob sie Engländerin sei..-„Nein,Deutsche“. Sein Gesicht erbleichte, schien zu vereisen, und wortlos verschwand er im Haus . . Als Dada dann zwar mit vollem Kanister, aber tief betroffen wieder am Auto eintraf, die Zelte waren inzwischen schon abgebaut, konnte Dick den Vorfall umgehend erklären und verständlich machen : In diesem Tal hier hatten die deutschen SS –Truppen grausam gehaust . Sie konnten jetzt zwar wieder losfahren, aber ihre Stimmung war doch slchtlich getrübt durch diese unverhoffte Konfrontation mit der so unbegreiflichen Vergangenheit. In Gedanken versunken, wurden sie aber plötzlich wieder hellwach , als sie in einer völlig unbesiedelten Gegend von zwei livrierten Männern mit großen Fahnen von der Hauptstraße herunter, zur Weiterfahrt in eine andere Straße gewinkt wurden . Verunsichert fuhren sie weiter. War da etwas passiert? Nach etwa zwei Kilometern aber das Gleiche noch einmal . Wieder folgte Dick den winkenden Fahnen. Nur Hella war inzwischen erbost über diesen Eingriff in ihre Fahrt ohne jede Erklärung. Nachdem sie jetzt ein kleines Waldstück durchfahren hatten, kamen sie plötzlich an ein riesiges, eingezäuntes Gelände, in dem etliche schwarz-glänzende Limosinen abgestellt waren und Männer in Frack und mit Zylinder herumliefen Das große Eingangstor war geöffnet, und auch hier standen Livrierte, um die Ankommenden zu empfangen. Dick stellte sich zwansläufig hinter die beiden dort schon wartenden Autos. Dann kam die freundliche Aufforderung :“Bitte Ihre Einladungen -“ ? ? Durch den dort geringen Verkehr und ihr schwarzes Auto waren sie versehentlich für Gäste der 1953 gegründeten CERN , der Europäischen Organisation für Kernforschung, gehalten worden, anläßlich der Grundsteinlegung für den weltweit größten Protonenbeschleuniger . Nach kurzer Entschuldigung konnten sie nun endlich weiterfahren. Es folgten noch zwei herrliche Abschiedstage am Genfer See , um danach, wieder am Bodensee, in Konstanz , ihre DDR - Papiere zurück zu tauschen , und um zu guter Letzt dieser unvergeßlichen Fahrt im Merkerser Elternhaus bei einem zünftigen Doppelkopf, gewürzt mit all ihren interessanten Reiseerlebnissen, einen fröhlichen Abschluß zu geben . 27. Kapitel Z W I S C H E N S T O P I N M E R K E R S Nach langer Zeit wieder für einige Wochen zu Hause hatten die Eltern Dada mit ihrem liebevoll vorbereiteten ehemaligen Zimmer überrascht . Neben ihrem Bett stand schon ihre weiße Puppenwiege mit den hübschen bunten Streublümchen, welche Schwester Hella vor Jahren für sie zum Geburtstag darauf gemalt hatte. Nun zwar ohne ihre große Babypuppe, aber mit neuen Kißchen und zartfarbenen Bezügen - , genau , wie sie es sich schon als Kind gewünscht hatte, bereit für ihr echtes Baby . Im übrigen aber lief alles so, wie es vorher abgesprochen worden war : Dada würde die Zeit bis zur Entbindung bei den Eltern bleiben, und Arno zum Studienbeginn nach Jena zurückkehren und nur zu den Wochenenden in Merkers sein . Doch auf die Dauer wollten sie natürlich zusammen wohnen . Dadas hierfür völlig ungeeignetes Dachkämmerchen hatten sie zwar schon zurückgegeben , doch das Wohnungsamt hatte ihnen bisher keinerlei Hoffnung auf eine , ja schon lange beantragte Wohnung gemacht . Als Arno jetzt jedoch schon kurz nach Jena gefahren war , kam er mit einer erstaunlichen , dringlichen Bitte seiner Eltern zurück: Da die neue Stiefmutter nach der Heirat sehr große und wertvolle Eichenmöbel mitbrachte, mußten sie, um diese zu behalten, eine große Altbauwohnung mieten, die aber für ihren Anspruch zwei Zimmer zuviel hatte. Diese mußten sie vermieten . Bisher an Ötten und Kirten, Arnos Klassenkameraden, die aber ihr Studium gerade beendet hatten und ausgezogen waren Um keine Fremden in die Wohnung zu kriegen, sollten nun sie einziehen. Mit großem Bedenken, doch erleichtert, sagten sie zu.
veränderten , aber weiterhin sehr lebhaften Familienbetrieb gewöhnen.. Der Vater war seit einem Jahr Betriebsarzt in der seit 1950 neu gebauten Betriebs-Poliklinik.Ohne Sprechstundenbetrieb war es im Haus wesentlich ruhiger geworden, obwohl wegen der Hausbesuche das Telefon immer noch häufig klingelte .Aber die Mutter war doch etwas von der fast selbstverständlichen und unbeachteten Mitarbeit entlastet und konnte sich in den Elternbeiräten der Kinder einbringen , oder auch in dem von ihr 1950 mitgegründeten Friedenskomitee den zweiten Vorsitz übernehmen .
Pümmies, die beiden Zwillingsschwestern Moni und Boob, wie sie sich selbst genannt hatten. Beschützt von Oma Booz, die , seit der Großvater 1947 an Leberkrebs verstorben war , aus ihrem kleinen Behelfsheim im Garten , in dem jetzt ein Flüctlingsehepaar wohnte, wieder in das Wohnhaus zurückgezogen war. Besonderen Spaß machte es ihnen, die breite, hölzerne Etagentreppe mit ihren glatten Filzpantoffeln nur über die Stufenkanten mit höllischem Lärm herunterzurattern, hatten aber den falschen Verdacht, als die Großmutter einmal auf der Treppe ausrutschte, daß sie der Mutter mitleidig berichteten :“ Gell, die Großmama kann das noch nicht !“ Ihr Freifahrschein zu Hause war bei jedweder Gefahr einer Strafe :“Das sagen wir der Großmama !!“ Und als Strafe den Nachtisch zu sperren, ging auch nicht – dann stand Oma auf und aß ihren auch nicht. In der Schule nutzten die beiden ihre Ähnlichkeit, um heimlich ihre Plätze zu tauschen. Dann machte die Bessere eine Prüfung zweimal .
Abiturklasse geschafft, machte aber mit ihrer labilen Gesundheit den Eltern immer wieder Sorgen und Probleme , die es zwar bei Bruder Franz auch gab, aber völlig anderer Natur waren . Er war auf die Oberschule in Vacha gegangen und hatte 1952, nachdem die Jugendvereine der Evangelischen Kirche zu DDR-feindlichen Organisationen erklärt, und damit verboten worden waren, auf einer Schulversammlung sich dagegen ausgesprochen, daß auch Vachaer Schüler, die der „Jungen Gemeinde“ angehörten, die Oberschule verlassen sollten. Daraufhin schlossen sich auch für ihn die Schulpforten. Mutter Magda auf dem Krupp-Lyzeum in Essen, mit der sie dann auch das Lshrsrseminar absolvierte und in Essen unterrichtete, bis Magda erfuhr, daß ein englisches Diplomaten-Ehepaar eine Hauslehrerin für seine beiden Kinder in Berlin suchte und diese Stelle übernahm.Von dem dort verdien- ten Geld studierte sie gleichzeitig Germanistik und Anglistik und traf in Berlin zufällig Else wieder, die geheiratet hatte. und ihrem Mann nach Berlin gefolgt war, da er als bekannter Kommunist inzwischen in den Untergrund fliehen mußte. Beide waren jetzt verheiratet, sie hieß nun Zaisser, und da Vater Günther inzwischen auch in Berlin studierte, wurden beide jungen Ehepaare für ein paar Jahre in Berlin enge Freunde. Jedoch jetzt war Else Zaisser Ministerin für Erziehung, kam jedes Jahr zur Kur nach Bad Liebenstein und stand wieder mit Magda in freundschaftlicher Verbindung. Um Hilfe gebeten, verfügte sie weiteren Schullbesuch, jedoch im Internat. Franz ging nun in die „Salzmann-Schule“ bei Schnepfenthal. 28. Kapitel Ein unbeschreibliches und völlig neues Glücksgefühl durchströmte Dada , und gab ihrem Körper plötzlich alle Kraft und Lebensenergie zurück, die sie im Laufe des stundenlangen Kampfes um das Leben eines neuen , kleinen Lebewesens fast verloren hatte. Nachdem die Helfer, der Vater , die Hebamme und auch Arno das Zimmer verlassen hatten, damit sie sich nun erholen möge, war sie mit ihrem kleinen Weltwunder , das neben ihr in ihrer weißen Puppenwiege lag, endlich allein. Aber das inzwischen rosige Dingelchen mochte sich auch noch nicht ausruhen, sondern versuchte krampfhaft aber vergeblich, mit leisen Unmutsbekundungen , aus seinen winzigen Fäustchen etwas heraus zu saugen Da konnte Dada nicht mehr widerstehen und holte sich das kleine Bündelchen in ihr Bett , ¬¬um schon mal zu versuchen, was, um die Mutter zu schonen, erst für den kommenden Morgen vorgesehen war : Ob das Baby auch trinken würde ? Aber dieser erste Versuch verlief alles andere als schwierig : Wie von einem Magnet angezogen saugte sich das kleine Wesen an ihrer Brust fest ,und sog alles, was es hier schon zu holen gab, in sich ein, bis es ermüdet und zufrieden in ihren Armen einschlief und auch Dada die Augen zufielen . Erst am nächsten Morgen war die Hebamme die erste, die wieder hereinkam, um das Neugeborene für den Tag fertig zu machen , und um nun auch schriftlich und amtlich festzuhalten : Ein kleines Mädchen, ein Sonntagskind, Gewicht 3.2oo Gramm, wurde am 28.August 1955 in Merkers/Rhön ,dem Geburtstag von J.W.v.Goethe , geboren . Naheliegender Vorname – Christiane . Stillen ohne Problem . Nun erst durfte die ganze Familie das neue Familienmitglied bewundern und begutachten, wurden die Nichtanwesenden benachrichtigt. Bald schon gehörte dieses Morgenritual zum gewohnten Tagesablauf, und das Baby entwickelte sich prächtig. Einen Wermutstropfen gab es nur für Dada, daß ihr Schwiegervater zwar die gewünschten Lebensmittelkarten geschickt hatte,aber mit keinem Wort sein ertes Enkelkind erwähnt hatte. Sie sorgte sich schon um das nun bald beginnende Zusammenleben in Jena . Als sie aber nach einiger Zeit dort einzogen, gab es sogar eine positive Überraschung : Die dortige Oma hatte von ihrem Geld, - Arnos Eltern hatten getrennte Kassen, - als Empfangsgeschenk einen neuen,schönen Kinderwagen , damals 200,00 Mark , gekauft, und damit die Möglichkeit und auch den Anlaß dazu geschaffen , gleich gemeinsam einen kleinen , fröhlichen Spaziergang zu machen . Bald schon wurden sie hier von weiteren positiven Nachrichten erreicht : Auch Hella war glückliche Mutter eines gesunden Töchterchens, Cornelia, geworden, und Thula hatte, nachdem der Vater im Sommer mit ihr nach Holland fahren durfte, sechs bildschöne, kräftige Welpen zur Welt gebracht . 29. Kapitel Jetzt wohnte die kleine Familie nun endlich zusammen ! Ihre Schlafzimmermöbel , welche Dada von ihren Eltern bekommen hatte , waren nach Jena gebracht - , und im leergewordenen Studentenzimmer aufgestellt worden . Arnos Zimmer wurde unverändert gemeinsames Wohnzimmer, dazu nur ein kleines Gitterställchen, in dem Christiane sicher aufgehoben war . Aber bei allem Glücksgefühl zeigte sich nun doch auch , daß das Zusammenleben garnicht so selbstverständlich funktioniert . Als Dada , wie gewohnt , abends das Schlafzimmerfenster öffnen wollte , protestierte Arno heftig , da er sich beim geringsten Zug sofort erkälten würde . unterschiedlichen Angewohnheiten sogar: Dada hatte den Morgentisch liebevoll mit einem wunderschönen Keramikservice für zwei Personen , ein Hochzeitsgeschenk, gedeckt, hatte aber, auch wieder so , wie sie es gewohnt war, nur festes Vollkornbrot auf den Tisch gestellt. Arno jedoch hatte morgens stets trockenen Kuchen vom Sonntag bekommen,den er sich dann beliebig süß bestreichen konnte . Nun aber wollte er wenigstens ein Brötchen haben . Während des folgenden Disputs, – wo sollte jetzt ein Brötchen herkommen ?? - , plötzlich ein heftiger Knall , und eines der hübschen blauen Täßchen mit den weißen Punkten fiel in Scherben von der Wand . Arno hatte einen seiner unbeherrschten Jähzornsanfälle demonstriert . Dada überlegte blitzschnell : - das Sevice war nun sowieso wertlos geworden - , und schon schmiß sie auch das zweite Täßchen , und danach Stück für Stück hinterher , bis das ganze Service in Scherben auf dem Boden lag . Arnos Augen waren immer größer geworden , doch dann , völlig verdutzt , holte er Besen und Kehrschaufel , sicher das erste Mal in seinem Leben , und kehrte alles zusammen . Aber die Lektion hatte für immer geholfen . Aus Merkers kamen weiterhin überschwängliche Berichte über die heranwachsenden Hundekinder. Aber leider kam nun auch die Zeit , daß sie weggegeben werden mußten . Wunsch war es natürlich , wenigstens eins davon in der Familie zu behalten. Möglich aber wäre das nur bei ihnen . Arnos Eltern gaben sogar ihr Einverständnis , allerdings in der festen Überzeugung , daß es die gestrenge Vermieterin sowieso nicht gestatten würde ,Doch , oh Wunder, als sich Dada dann ein Herz faßte und die gefürchtete Hauseigentümerin fragte, bekam sie die Erlaubnis , das Hündchen ins Haus zu holen . Nachdem der holländische Züchter ,der die erste Auswahl hatte ,sich Alf, den kräftigsten kleinen Rüden und eine Hündin als Vergütung in Merkers geholt hatte ,durften sie als nächste auswählen und fuhren nach Merkers . Dort angekommen, begrüßte sie Franz mit einem dick angeschwollenen und verfärbten Ohr , und man berichtete ihnen mit schlecht verhohlener Schadenfreude , daß er sich unter einer Bank versteckt hatte, um mit einem Stöckchen die kleinen Hunde zu necken . Aber unter seinem großen Geschrei habe ihn der kampfeslustige kleine Alf am Ohr aus seinem Versteck hervorgezogen. Nun suchten sich Arno und Dada ihre kleine Hündin aus, nannten sie Arkadia, und die erste Begegnung der zwei künftigen Spielgefährten fiel stürmisch–liebevoll aus . 30.Kapitel W E T T E R W E C H S E L Ein wunderschönes Frühjahr war zu Ende gegangen , die beiden Kleinen hatten sich bestens entwickelt , wobei das rasante Wachstum von Arka immer wieder Erstaunen auslöste , und die beiden verstanden sich auch ganz ohne Worte erfreulich gut. Aber Dadas bezahlte Freizeit ging zu Ende und sie schaute schon nach einer Beschäftigung aus, bei der Christiane zu Hause bleiben könnte . Sie hatte Glück : Die Universitäts-Zahnklinik suchte dringend eine Nachtschwester und sie wurde umgehend eingestellt. Ihre Arbeit dort , nachts als einzige Pflegekraft , war zwar recht anstrengend und anspruchsvoll , machte ihr aber auch viel Freude. Vorallem die Kinder , mit denen sie hier garnicht gerechnet hatte , die wegen Unfällen oder auch Mißbildungen hier operiert und behandelt wurden , lagen ihr am Herzen. Wenn sie dann in aller Frühe wieder nach Hause kam, konnte sie ihr „Janchen“ erst noch stillen und dann mit ihr weiterschlafen , bis Arno zur Vorlesung ging .Auch ein kleiner täglicher Spaziergang gehörte mit zumTagesablauf, und zu Dadas großer Freude schaute auch ihr weltbekannter Mitbewohner, Albert Sixtus , Autor des Kinderbuches „Die Häschenschule“ immer mal herein . Zu Christianes erstem Geburtstag bewunderte er vorallem, daß das kleine Dingelchen die Schlafliedchen , die es jeden Abend vorgesungen bekam, mit allen Versen völlig richtig mitsang. - Irgendwarum aber bekam Arka wohl nachts bei Dunkelheit Angstzustände, wenn auch Arno nicht da war. Sie reagierte mit Durchfall und Dada mußte morgens als erstes das Zimmer wieder reinigen. Da sich das ständig wiederholte, wollte sie ihre Nachtwachen aufgeben und kündigen. Doch als sie dabei scherzhaft erwähnte, daß sie sonst ja ihre junge Dogge mitbringen müsse , ein überraschendes Telefongespräch beim Direktor der Zahnklinik , Professor Streuer , und sie durfte Arka nun tatsächlich abends mitnehmen . Beim ersten Mal wollte man sie allerdings an der Pforte zum Klinikgelände nicht durchlassen , aber auch hier ein kurzer Anruf , und nun durfte sie täglich, auch mit freundlichem Einverständnis der Pförtner, in Begleitung von Arka , die dann ruhig und brav in einem Abstellraum bis zum Morgen schlief , zu ihrem nächtlichen Dienst gehen. Doch es kam der November, der das Klima veränderte, nicht nur in der Natur. Arnos Studienfreunde, mit denen er oft zusammen gewesen war, hatten sich zurückgezogen und bereiteten ihr Staatsexamen vor . Aber Arno hatte sich noch garnicht um die dazu erforderlichen Vorlesungsnachweise gekümmert und hatte es auch noch garnicht vor. Da beendete Dada ihre Tätigkeit nun doch, so schnell es eben ging, um ihn dabei zu unterstützen. Bis auf zwei Nebenfächer war das dann auch bald geschafft, doch hier fehlten Vorlesungen , für die er sein Studium wohl oder übel um ein Semester verlängern mußte. Inzwischen hatte die Vorweihnachtszeit begonnen , und so wurde die Stimmung wieder gelöster , denn das erste bewußte Weihnachtsfest für die kleine Christiane sollte ja besonders schön werden . 31.Kapitel Endlich war der ersehnte Tag gekommen : Man erwartete den heiligen Abend. Dada hatte das Wohnzimmer bereits auf Hochglanz gebracht und Arno den großen Weihnachtsbaum , bis zur Decke, aufgestellt und wunderschön bunt und glitzernd geschmückt , während die kleine Christiane nun schon ganz sicher in ihrem Ställchen stand und staunend die ungewohnte Betriebsamkeit verfolgte . Jetzt aber war alles vorbereitet, und der Tisch konnte für das Festessen gedeckt werden. Doch da stellte Dada fest, daß kein Senf, der heute jedoch gebraucht wurde, im Haus war . Doch kein Problem, - das kleine Lädchen gegenüber hatte noch auf. Sie stellte die angebrochene Mehltüte, die sie gerade in der Hand hatte, schnell auf den Schreibtisch, um noch schnell Senf zu holen .Als sie nach fünf Minuten wieder da war, erwartete sie fast eine Schneelandschaft : Janchen steht im Ställchen und schwenkt, vor Vergnügen laut quieksend , die nun fast leere Mehltüte über ihrem Kopf und läßt es schneien , während Arka, die sie ihr ins Ställchen geholt hatte, wie ein Wilder durch die weiße Pracht und über die Polstermöbel springt !- Es wurde aber trotzdem noch ein schöner und fröhlicher Weihnachtsabend. Als aber am nächsten Morgen lautes Klirren im Nebenraum die Familie aus dem Schlaf schreckte , und Dada, schon mit böser Ahnung, das Wohnzimmer, in dem auch Arka schlief , betrat , und der schöne Baum in seiner ganzen Größe,mit den vielen, nun zerbrochenen Kugeln auf dem Teppich lag,fand sie das doch, als heimliche Strafe für alle ihre Sünden, etwas übertrieben! Bald schon mußten die Vorbereitungen für den Jahreswechsel getroffen werden. Unterstützung geschenkt ,denn wie schon im Vorjahr, sollte zu Sylvester die gemeinsame Doppelkopfkasse mit Paten-Ehepaar Krause in Weimar, im „Elefanten“ wieder geleert werden. Arnos Schwester Herthi, die auch bei ihren Eltern wohnte, würde während ihrer Abwesenheit, für einen späteren kleinen Restaurant-Besuch, Kind und Hund betreuen. hatte dieses Jahr nicht die geringste Lust dazu. Als am Vorabend Dada vom Spaziergang mit den beiden Kleinen zurückkam , war er einfach fortgegangen und kam erst nach Mitternacht zurück . Am nächsten Morgen stellte sich dann heraus, daß er bereits mit Herthi groß ausgegangen -, und das Geldgeschenk aufgebraucht war , Nun gab es laute Auseinandersetzungen , die bis zu Arnos Vater drangen, der sich jetzt einschaltete und kategorisch feststellte , daß an der ganzen schwierigen Situation nur Frau und Kind schuld seien. packte das Wichtigste zusammen und fuhr mit ihrem Kind nach Merkers . Hier waren die Eltern schon nach Weimar fortgefahren und sie brauchte erstmal keine großen Erklärungen abzugeben . Aber als dann nachts die Glocken läuteten und das neue Jahr begann, wurde es ihr zur Gewißheit, daß sie in diesem kommenden Jahr nicht mehr in Jena wohnen würde . 32.Kapitel U M Z U G N A C H N E U S T A D T / O R L A Die darauf folgende Zeit verlief erstaunlich problemlos . Hella, die an
37.Kapitel NUN KALI - DOK UND SEINE DOKTERSCHE 38.Kapitel WEICHENSTELLUNG 39. Kapitel Phh ! MACHENSES UNS DOCH VOR !! 40.Kapitel DIE MATTHÄUS – PASSION in der Kornbergstraße Arno war meist den ganzen Tag unterwegs und kam oft erst am Die sonst so lebhaften Schüler verließen tief berührt die Unterrichtsstunde. 41.Kapitel CHRISTIANE UND DIE PEST 42.Kapitel AKTION KORNBLUME Als Dada dann jedoch in ihre Klasse kam, sah sie gleich, daß ein Platz Durch die unerwartete nächtliche Aktion konnte man zwar einen
Weshalb die Verfremdung , obwohl es sich doch Da es lediglich E R I N N R U N G E N sind , Es können also keine historischen Berichte sein ! Dorothea Nennstiel-Deilmann bei flickr 2011 patzenfritz und Spatzengret bei Lehmann's 2016 |
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