| E I N E R H Ö N E R F A M I L I E N G E S C H I C H T E D E S 2 O. J A H R H U N D E R T S
T E I L III 196O – 199O
D I E D O K T E R S C H V O N U N T E R B R E I Z B A C H
Nach den Erinnerungen von Dorothea Nennstiel-Deilmann
Illustrarionen von Horst Saar
1. Kapitel ZURÜCK IN DIE RHÖN
Kurz vor Weihnachten fuhren Arno und Dada nun mit Kind und Hund zu den Eltern nach Merkers, um nach den Feiertagen Christiane zu ihrer Patentante nach Bad Salzungen zu bringen, die ihnen jederzeit hilfreich zur Seite stand, und Arka bei den Eltern zu lassen, um dann in Ranis den Umzug vorzubereiten, und freuten sich schon auf die unbeschwerten und fröhlichen Weihnachtstage .
Doch die übliche erwartungsfrohe Stimmung war dieses Jahr recht gedämpft, denn inzwischen hatte sich auch Friedel aus der Bundesrepublik gemeldet. Sie hatte im Juli 1958 trotz mehrerer langwieriger Krankenhausaufenthalte an der Bad Salzunger Oberschule ihr Abitur zwar recht gut geschafft, wurde aber indirekt schon darauf hingewiesen, daß sie sich mit Oppositionsgeist und ohne Mitglied der FDJ zu sein, nicht um einen Studienplatz zu bewerben brauche. Daher machte sie ein Praktkum im Labor des ihr als ehemaliger Patientin gut bekannten Städtischen Krankenhauses in Jena , und da es ihr dort sehr gut gefiel und Chefarzt Dr.Rümmler ihr die Ausbildung als MTA (Medizinsch-Technische-Assistentin) anbot, beantragte sie diese . Doch auch das wurde ihr verwehrt . Da packte sie ihre Koffer und konnte inzwischen in Göttingen sogar ihr Wunschfach Psychologie studieren . In Ranis wurde nun gleich nach Neujahr der Möbelwagen beladen , mit dem auch das junge Ehepaar bis nach Merkers mitfuhr, denn von hier aus sollte sie ein Werkswagen abholen, um dann gemeinsam zur neuen Wohnung nach Unterbreizbach zu fahren. Ohne großen Abschieds- schmerz, da sie ja in Ranis kaum Wurzeln geschlagen hatten, überfiel sie aber, als sie an den „Drei Gleichen“ vorbei fuhren, eine innige Willkommensfreude : Jetzt kamen sie wieder in ihre alte Heimat ! In Merkers wurden sie schon von dem Cheffahrer des Kalibetriebes , Erich Thimm, erwartet, der sie vor eventuellen Schwierigkeiten bei ihrer ersten Einfahrt ins Grenzgebiet bewahren sollte. Nach kurzer Pause ging die Fahrt weiter. Doch als sie sich hinter dem Ort Dorndorf der Kontrollstelle näherten und der schier endlos scheinende Stacheldraht- Sperrzaun , sich mitten durch das Land ziehend, vor ihnen lag, während die uniformierten Soldaten sie zum Halten aufforderten, wurde ihnen erstmals beklemmend bewußt, wie isoliert sie hier im Sperrgebiet zukünftig leben würden, da ja nur ihre Verwandten ersten Grades vier Wochen nach einem schriftlichen Antrag für eine besimmte und jeweils nur kurze Zeit zu Besuch kommen durften. Aber das hatten sie ja schon vorher gewußt, und so verflog die bedrückte Stimmung schnell wieder und sie fuhren erwartungsfroh ihrem neuen Leben und dem zukünftigen Arbeitsfeld entgegen .
2. Kapitel KALI - DOK UND DOKTERSCHE Am Kornberg in Unterbreizbach, an einer ehemaligen Direktorenvilla, der jetzigen Betriebsambulanz des Kaliwerkes, gut angekommen, machte sie ihr netter, um eine freundliche Aufnahme besorgte Fahrer Thimm , auf seine fast väterlich freundliche Art in der unteren Ambulanz - Etage des Hauses gleich mit den gerade diensthabenden medizinischen Helfern bekannt . Vorallem mit dem leitenden Sanitäter Paul Bronnert sowie der Laborantin Erika Lippert, an die sie sich nun jederzeit mit Fragen oder Anliegen wenden könnten . Schon wurde der Möbelwagen leergeräumt , und das im Dachgeschoß wohnende Hausmeister-Ehepaar kam auch herunter, um zu helfen. Nun verwandelte sich die obere Etage langsam in eine bereits recht gemütliche Wohnung, besonders durch einen herrlich großen Balkon am Wohnzimmer ideal für Kind und Hund , die ja jetzt auch bald geholt werden konnten. Inzwischen war auch Arnos wichtigste Mitarbeiterin, die Arzthelferin Gerda Träger, die in dem Vierfamilien-Haus der Ambulanz gegenüber eine Wohnung bewohnte , zur Begüßung herüber gekommen. „ Arzthelfer“ war in der DDR ein Zwischenberuf, in dem hochqualifizierte Pflegekräfte nach einer zusätzlichen zweijährigen Ausbildung , unter Aufsicht und Verantwortung eines Arztes, beschränkt ärztlich arbeiten durften. Dadurch konnte hier unter ihrer Regie der wichtiste Versorgungsbetrieb bisher weiterlaufen . Schon am nächsten Tag konnte Arno seine Tätigkeit ohne Schwierigkeiten aufnehmen. Seine Sekretärin, Schwester Lieselotte Lübbert, und sicher auch sein aus Ranis vorausgeeilter guter Ruf, ermöglichten ihm sogleich ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinen ersten Patienten. Aus der Werksgarage traf dann sein zukünftiger Fahrer . Paul Jendritzki, mit einem älteren DKW ein , nun sein Dienstwagen, und sie fuhren, um die anstehenden und neu angemeldeten Hausbesuche zu machen, ins Dorf und nach Pferdsdorf . Auf diese Weise spielte sich fast unmerklich der Alltag ein. Aber nur wenige Tage später riß ein Anruf mitten in der Nacht das Ehepaar aus seiner glücklichen Zufriedenheit. Ein verzweifelter Vater rief nach sofortiger Hilfe. Ihr kleiner Säugling,der abends noch völlig in Ordnung schien, würde plötzlich nach Luft ringen und wäre schon ganz blau angelaufen. Der schnell angerufene Fahrer brachte den Arzt umgehend zu dem Kind, aber Arno konnte weder eine Ursache feststellen noch helfen. Da kein Krankenwagen in der Nähe war, fuhren sie das Kindchen in höchster Eile zum nahegelegenen Vachaer Krankenhaus , aber es verstarb noch während der Fahrt. Eine Obduktion wurde angeordnet, doch die Zeitspanne , bis das Ergebnis mitgeteilt wurde, wurde eine fast unerträgliche Belastung für den jungen Arzt und seine Frau durch die quälende Frage, ob er das Kind nicht doch hätte retten können und vielleicht etwas versäumt habe. Jedoch der Befund entlastete ihn dann völlig. Todesursache war eine tuberkulöse Sepsis, eine meist tödliche Blutvergiftung, durch Ansteckung verursacht . Ermittelt wurde : die Hebamme der Entbindungsstation hatte Tuberkulose . Bei den überdurchschnittlichen Arbeitsanforderungen dieser Arztstelle , doch Arnos Ehrgeiz, das in Ranis Erlernte auch weiter anzuwenden, war es gerade jetzt zu Beginn recht günstig, daß Dada noch keine Arbeit aufgenommen hatte, und ihn so jederzeit aus freien Stücken unterstützen konnte. Besonders die Herz-Kreislauf Beschwerden durch körperliche Überlastung, in der Landwirtschaft ja recht häufig, konnten in der Klinik durch eine tägliche Veneninjektion in etwa dreiWochen sichtbar gemildert werden, für die seine Zeit jedoch nicht ausreichte , Da aber auch Dada die Befähigung und Spritzen-Erlaubnis dazu erworben hatte , konnte manchem Patienten auch zu Hause geholfen werden, und für sie war es eine willkommene Gelegenheit, Ort und Menschen hier kennen zu lernen . So war sie eines Tages gerade auf einem kleinen Bauernhof in der Friedhofstraße dabei, der Äller, also der Altbäurin, eine solche „Herzspritze“ zu geben, während Tochter und Enkelchen interessiert zuschauten, als die kleine Sylvia leise, aber unüberhörbar ihrer Mutter zuflüsterte : „Mama, gell, die Doktersche macht das prima“ . – Betretenes Schweigen , - und ein heimlicher Knuff der Mutter. Doch die Kleine flüsterte unverdrossen weiter : „Gell, die Doktersche kann das!“ Aber da war Dada gerade mit Spritzen fertig, und konnte die Frauen lachend damit beruhigen, daß auch sie ja in einem Rhöndorf groß geworden sei, wo die Frau des Dorfarztes die „Doktersche“ war . Ganz im Gegenteil“, fügte sie vergnügt hinzu, „ jetzt fühle ich mich erst so richtig hier zu Hause“ !
3.Kapitel WEICHENSTELLUNG Doch der Besuch des örtlichen Schulleiters Lietz veränderte die Situation schon bald : „Ich habe gehört , Sie haben ein Germanistik-Pädagogik Studium an der Uni Jena nach vier Semestern unterbrechen müssen ? Hier am Ort habe ich nächstes Schuljahr das Problem, daß ich für unsere erste zehnte Klasse,die seit Einführung der „Polytechnischen Zehnjahresschule“ ihren Abschluß macht, noch keinen Deutschlehrer habe. - Falls Sie diesen Unterricht übernehmen würden, könnten Sie während dieser Zeit Ihr Studium extern am „Pädagogischen Institut“ in Erfurt mit einem Fernstudium abschließen “. - Dada war zwar völlig überrascht, sagte aber natürlich sofort zu. Doch als er dann, etwas verlegen, noch fragte, ob sie eventuell auch den Musikunterricht übernehmen würde, denn einen Musiklehrer habe die Schule leider auch noch nicht gefunden , war ihre Freude vollkommen. Musik war schon in ihrer Kindheit wie ein Zauber für sie gewesen und das gemeinsame Singen in der Familie ihr Inbegriff von Nestwärme. Schon vor ihrer Schulzeit probierte sie auf dem Klavier oder einer kleinen Ziehharmonika so lange, bis sie die Melodie aller der ihr bekannten Lieder mit ,zwar recht primitiver, Begleitung richtig spielen konnte, und seit ihrer gemeinsamen Schulzeit war die Musik mit das wichtigste Bindeglied von ihr zu ihrem musikalisch fast professionell ausgebildeten Lebenspartner . Um mit Töchterchen Christiane zu singen , hatte sie sich bereits auf seinem Akkordeon recht gut eingespielt, was ihr beim Unterrichten sicherlich auch sehr helfen würde . Daher zerstreute sie die Sorgen des Direktors bedenkenlos mit einem freudigen , zweiten „Ja!“ , welches wohl den gesamten weiteren Lebensweg in Unterbreizbach beeinflussen sollte .
4.Kapitel Phh ! MACHENSES UNS DOCH VOR !!
Ihr Neuanfang zum Schuljahresbeginn gestaltete sich für Dada recht abwechslungsreich und anstrengend . Zu Beginn erolgte in Erfurt die Aufnahme des Fernstudiums, welches sie nun mit hundertundzwanzig weiteren Teilnehmern begann.. Danach folgte in der Schule die Vorbereitungswoche und sie lernte das Lehrerkollegium kennen und fühlte sich dort gut aufgenommen. Hier wurde ihr nun mitgeteilt, daß sie in zwei Klassen den Deutsch- und Musikunterricht erteilen solle. Der Klasse Zehn mit nur zwölf Schülern , aber auch der Riesenklasse Sieben mit vierundvierzig Schülern, die sie auch als Klassenlehrerin betreuen solle . Das bedeutete zusätzlich, bald einen Elternabend durchzuführen und vierundvierzig Elternbesuche zu machen . Mit freudiger Erwartung ging Dada an die Erfüllung dieser Aufgaben, doch als sie im Sekretariat ihren Elternabend anmelden wollte, erlebte sie erstmals auch eine Enttäuschung: Sie erfuhr, daß es üblich sei, vor der offiziellen Elternversammlung die „Genossen Eltern“ einzuladen, um sie als erste zu informieren und ihre Meinung zu erfragen. Doch danach verlief dann alles problemlos und nach ihren Vorstellungen, nämlich mit der unbedingten Gleichbehandlung aller ihrer Schüler und deren Eltern . Nicht ganz einfach aber gestaltete sich der Beginn in ihrer übergroßen Siebten Klasse, in der nur ein Schüler zur Teilung fehlte, und in der kein Klassenlehrer länger als ein Jahr geblieben war. Leistungen und Disziplin ließen daher recht zu wünschen übrig. Aber Dada nahm ihre Aufgabe, diese dreizehn- bis vierzehnjahrigen Kinder positiv zu formen, mit den besten Vorsätzen an . Sie spürte schnell, daß die hübsche blondlockige Martha, schon ein bißchen „Junge Dame“ , in der Klasse recht beliebt war und vorwiegend hier den Ton angab. Da Martha eine sehr gute Deutsch-Schülerin war, sah Dada keine Schwierigkeit darin, sie für sich zu gewinnen. Aber auf jedes Lob reagierte sie nur mit „Phh“ , und erst recht nach einer Erklärung oder gar Verbesserung erfolgte ihr schnippisches „Phhh!“ . Eines Nachmittags aber, Dada mußte sich noch ein Schulbuch aus dem Lehrerzimmer holen, hörte sie aus dem gegenüberliegenden Gebäude, in dem sich nur der große Klassenraum ihrer „Sieben“ befand, lebhaften Lärm. Als sie beim Nachhausegehen schnell mal dort nachschaute, versuchten hier Martha und einige Mädchen gerade, einen Handstand mit Überschlag zu schaffen. Da konnte sie natürlich gut Ratschläge geben. Aber Marthas spöttische Antwort war nur: „Phh! Machenses uns doch vor !“ Kein Problem ! - Ungläubig staunend bewunderten sie die Mädchen, - Marthas „Phh“ aber hörte sie nie wieder !
5.Kapitel DIE MATTHÄUS – PASSION in der Kornbergstraße
Das erste Jahr in Unterbreizbach war fast wie im Flug vergangen, und die Familie hatte sich ohne Schwierigkeiten hier eingelebt. Da gab es zum Weihnachtsfest eine unerwartete, neue Überraschung : Vom Kaliwerk kam das Angebot, in die freigewordene Wohnung mit Fernheizung und Gartengrundstück des Grubendirektors zu ziehen, der sein neugebautes Eigenheim bezogen hatte. Die würde dann nach ihren Wünschen renoviert und stünde ab Frühjahr für sie bereit, könnte aber jederzeit jetzt schon besichtigt werden. Ihre jetzige Wohnung würde dann zur Erweiterung der Ambulanz genutzt werden. Die Besichtigung erfolgte bald und versprach eine weitere Verbesserung ihrer Lebensqualität . Besonders ein sehr großes Wohnzimmer war wie geschaffen dafür, um hier Musik zu machen und zu hören . Als ihr Wunsch , dort statt der Deckenlampe mehrere Wandleuchten anzubringen, ohne weiteres erfüllt wurde, und der Raum mit Klavier, moderner Musikanlage und statt eines Sofas mit zwölf leichten Sesseln eingerichtet war, war das Ehepaar überglücklich, nun für ihr gemeinsames Hobby einen so wunderschönen Raum zu haben und sie nahmen den Umzug in die nur etwa dreihundert Meter entfernte neue Wohnung gerne in Kauf, obwohl die beruflichen Anforderungen während dieser Zeit unvermindert weiterliefen , jedoch die Unterstützung von Ehepaar Johne eine große Entlastung war . Arno war meist den ganzen Tag unterwegs und kam oft erst am späten Abend nach Hause ,während dann bei Dada mit Unterrichts – Vorbereitung und Heftdurchsichten die Arbeit nochmal begann. Die gemeinsamen Mahlzeiten aber, wenn auch meist zu ungewöhnlicher Zeit , wurden täglich eingehalten. Inzwischen war es kurz vor Ostern geworden, und der Lehrplan für die Klasse Zehn sah für den Musikunterricht jetzt die Behandlung der „Matthäus-Passion“ vor , dem Bibeltext vom Leben und Leiden Jesu, einst beschrieben von dem Evangelisten Matthäus und als „Karfreitagsmusik“ für die Messe derThomas-Kirche in Leipzig 1729 von dem damaligen Thomas-Kantor Johann Sebastian Bach vertont . Dada begann ihre Vorbereitung mit großem Respekt, aber auch mit der Befürchtung, daß sie die jungen,modernen Jugendlichen mit diesen uralten Begebenheiten nicht mehr erreichen könnte. Doch , da würde ihr das schöne Musikzimmer , für die kleine Zehnerklasse genau ausreichend , vielleicht helfen? Es gelang ! In dem feierlichen Ambiente , begleitet von der eindringlichen Musik J.S. Bachs, wurde die Mahnung voll erfaßt , daß seit der Hinrichtung von Jesu , über Bachs Lebenszeit , bis in unsere heutige Gegenwart , also einer riesigen Zeitspanne, unzählige Menschen umgebracht wurden, die sich bewußt für ein lebenswertes Leben a l l e r Menschen geopfert haben,und nicht,wie leider eine große Menschenmasse, auf Forderung der Obrigkeit bedenkenlos und nach Bedarf gerufen haben : „Hosianna“, oder ebenso bedenkenlos : „Kreuzigt ihn!“ Die sonst so lebhaften Schüler verließen tief berührt die Unterrichtsstunde.
6.Kapitel CHRISTIANE UND DIE PEST
Es war Sonntagmorgen, Dada war gerade dabei, den Tisch für eine reichliche Frühstückstafel zu decken, da die Familie einen größeren Spaziergang machen wollte , und Christiane hörte unterdessen im Radio eine Kindersendung. Plötzlich rannte sie ganz aufgeregt in die Küche : „Mama, was ist denn die Pest?“ Doch die Mutter konnte sie schnell damit beruhigen, daß es zwar eine meist tödliche Krankheit sei, die es aber schon seit langer Zeit nicht mehr gäbe. In der Radiosendung hatte man nämlich das Gedicht von Agnes Miegel „Die Frauen von Nidden “ welche sich einst zum Sterben in die Sanddünen gelegt haben sollen, als alle anderen Bewohner der kleinen Ostseeinsel an der Pest verstorben waren. „Und wie haben die gemerkt, daß sie die Pest haben?“ , fragte die Kleine noch. „ Das waren viele dunkle Flecken und Beulen am Körper, die Pestbeulen“, wußte Dada aus Berichten von damals . Doch dann war diese düstere Begebenheit schnell vergessen und abends, nach einem wunderschönen Sonntagsausflug mit Arka wurde die Kleine vergnügt ins Bettchen gebracht, bevor die Eltern heute auch zum üblichen Wochenend- Doppelkopfspiel ihrer Eltern mit Ehepaar Krause nach Merkers fahren konnten . Bei Janchen gab es, wenn die beiden mal ausgingen , solange Arka bei ihr war, nicht die geringsten Probleme . Im Gegenteil, sie fragte sogar danach. Da eine „sturmfreie Bude“ ja noch nicht der Grund sein konnte, fragte die Mutter dann doch mal nach: „Warum sollen wir denn ausgehen?“-„Da machst du dich immer so fein!“,die verblüffende Antwort. In Merkers war es schon recht spät geworden, als die letzte Doppelkopf - Runde beginnen sollte. Doch da klingelte das Telefon. Aus der Ambulanz von Unterbreizbach meldete sich völlig aufgelöst die Nachtschwester: „Eben ist Ihre Christiane mit dem großen Hund hier reingekommen: Ich müsse sofort bei Ihnen anrufen, daß Sie zurückkommen sollen, weil sie die Pest hätte! Dada ahnte schon einen Zusammenhang mit der Radiosendung vom Morgen. Aber da ausgerechnet Schwester Ursel, die panische Angst vor Arka hatte, heute im Nachtdienst war, waren keine weiteren Fragen angebracht und sie fuhren umgehend zurück. Als sie in der Ambulanz ankamen, saß Schwester Ursel völlig entnervt im Sprechzimmer, während Christiane mit Arka im kleinen Nebenzimmer wohlbehalten auf sie gewartet hatte und ihnen schon gleich ihre nackten Ärmchen und Beinchen entgegenstrcckte, die sie vorm Einschlafen vorsichtshalber noch mal kontrolliert hatte. Und tatsächlich , da waren ,wie durch ihr recht oft ausgelassenes Herumtoben und Klettern jedoch an der Tagesordnung, reichlich blaue Flecken und Beulen zu finden .
7.Kapitel AKTION KORNBLUME
Wieder war es spät in Merkers geworden ! Die Familie hatte in den Geburtstag des Vaters am 3.Oktober 1961 hineingefeiert, und als die drei Geburtstagsgäste aus Unterbreizbach spät nachts nun wieder zu Hause in ihren Betten lagen, waren sie bald fest eingeschlafen. Da aber klingelte das Telefon, obwohl Arno heute gar keinen Dienst hatte . Dada stockte fast der Atem, als sie mithörte, daß es der Kreisarzt war, der Arno dazu aufforderte, sich umgehend einer amtlichen Gruppe anzuschließen , die in Breizbach mit dem Auftrag, unzuverlässige Bewohner aus dem Grenzgebiet zu evakuieren, schon bereit stünde, um bei eventuellen Zwischenfällen sofort Hilfe leisten zu können . Wie vom Blitz getroffen und wieder hellwach war sich das Ehepaar, das diese Situation ja schon einmal 1952 gemeinsam erlebt hatte, ohne Worte sofort einig, daß er gemeinsam mit dieser Truppe unter keinen Umständen auftreten würde. Er konnte den Kreisarzt überzeugen, daß er für einige akut schwerkranke Patienten hier erreichbar bleiben müsse, aber daß er sich für einen sofortigen Abruf bereithalten würde . Obwohl nun an einen ruhigen Schlaf nicht mehr zu denken war, - da der Morgen kam, ohne daß noch einmal angerufen wurde , begann der neue Tag für sie wie immer als ganz normaler Arbeitstag . Als Dada dann jedoch in ihre Klasse kam, sah sie gleich, daß ein Platz unbesetzt war. Doch ehe sie noch nach dem Grund fragen konnte , rief schon einer der Mitschüler :“ Der Eckardt kann nicht mehr kommen ! Familie Knauf ist heute Nacht weggebracht worden !“ - Um nicht etwa noch mehr Unheil zu provozieren, nahm sie es fassungslos schweigend zur Kenntnis und nickte nur traurig mit dem Kopf, da sie ja , ohne die Namen zu kennen, schon wußte, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Erst später sickerte es langsam durch , daß bei dieser zweiten gewaltsamen Aussiedlung, der „Aktion Kornblume“, etwa dreitausend und zweihundert Einwohner aus Grenzorten zwangsweise wie Verbrecher, aber ohne Gericht, Schuldspruch oder eine Begründung völlig ahnungslos nachts für immer aus ihrer Heimat in erbärmliche Unterkünfte evakuiert wurden. Dazu geführt hatten wohl die Schwierigkeiten bei der Kollektivierung der Landwirtschaft. Durch die unerwartete nächtliche Aktion konnte man zwar einen Widerstand der Bevölkerung ,wie teilweise 1952 , verhindern, aber ein alter Genosse aus dem Nachbarort Sünna hatte sich anschließend doch über dieses Vorgehen empört. Als einziges Ergebnis aber mußte auch er sein Heimatdorf verlassen .
8.Kapitel Abschied von Arka
Das Jahr 1962 hatte die Doktorsch-Familie gemeinsam mit vielen Merkersern im großen Saal des Kulturhauses mit Jubel, besten Vorsätzen und schönen Plänen fröhlich begrüßt und begonnen. Doch inzwischen waren einige Wochen schon wieder Vergangenheit , und es erwies sich als schwierig, all die guten Vorsätze und Vorhaben auszuführen. Immerhin hatte Dada im Februar mit nur noch zwanzig der Teilnehmer das Examen in Erfurt bestanden, sogar mit „sehr gut“, und als ihr Beruf wurde nun statt Lehramtsbewerberin „Lehrerin“ eingetragen. Doch noch war etliches zu bewältigen . Zudem hatte sie beim Anprobieren ihres Prüfungskostüms festgestellt, daß der Rockbund schon recht eng geworden war, also ihre ersehnte , festgestellte Schwangerschaft eventuell zeitlich weiter war, als bisher angenommen. Doch jetzt erwartete man erstmal, daß Arka ihre Jungen bekam . Arka war bei der letzten Hundeausstellung in Leipzig, wie einst ihre Mutter Thula, mit „V-1“ (Vorzüglich, 1.Platz ) bewertet worden und sollte wenigstens einmal werfen . Doch als es so weit war, setzten nur schwache Wehen ein, die nachließen, nachdem ein toter Welpe zur Welt kam. Die Injektion eines zu Hilfe geholten Tierarztes löste eine Dauerwehe aus und Arka mußte in eine Tierklinik zu einem Kaiserschnitt gebracht werden . Die Operation erbrachte noch einen zweiten Welpen, der trotz Beatmung starb und Arka folgte ihren Jungen einige Tage später, da die Operationswunde immer wieder aufplatzte.
9.Kapitel URLAUB IN BULGARIEN
Nur langsam wich das Gefühl der Lähmung . welches sich nach dem Tod von Arka, ohne ihre stete liebevolle und wachsame Begleitung, wie ein schwerer Teppich über die Familie gebreitet hatte. Es war schon Juni geworden. Da Christiane im Herbst bereits zur Schule kam, und das Baby erwartet wurde,sollte dieser Sommer ausgenutzt werden. Daher war schon ein für sie bezahlbarer Strandurlaub in Bulgarien gebucht worden . Jetzt war dieser Termin nun gekommen. Arno hatte Urlaub , und pünktlich zum Reisebeginn stiegen die Drei mit großen Erwartungen in Berlin das erste Mal in ein Flugzeug, in eine kleine I L- 14 , (Iljuschin 14) mit nur etwa zwanzig Fluggästen. Besonders Christiane, als einziges Kind an Bord , genoß es natürlich, sich von der Stewardess verwöhnen zu lassen. Die kleine Maschine mußte allerdings zum Auftanken auf halber Strecke , in Budapest , zwischenlanden . Bis dahin hatte es keinerlei Schwierigkeiten gegeben. Doch nach dem erneuten Aufstieg überfiel Dada ein unstillbarer Brechreiz , der unvermindert anhielt, noch über die Ankunft in dem wunderschönen Hotel , direkt am flachen Strand gelegen, hinaus . Da mußte sich Arno nun um den Empfang der Zimmerschlüssel kümmern. Als endlich alles erledigt war, auch die Koffer gebracht worden waren und die Zimmer aufgesucht werden konnten, war Christiane verschwunden . Alles Suchen und Nachfragen blieb erfolglos, bis Dada einfiel, daß sie bei der Ankunft gleich neben dem Eingang , wo schon das Meer begann , gesehen hatte, daß dort etliche Kinder im Wasser plantschten . Und tatsächlich ! Dort , im roten Schulkleidchen, plantschte sie begeistert mit! Nach zwei Tagen hatte sich Dadas Magen endlich wieder beruhigt, und nun folgten herrliche gemeinsame Urlaubstage , wobei Arno fröhlich davon profitierte, daß er die drei täglich pro Person bereitgestellten halben Flaschen wunderbaren Wein allein genießen konnte. Der Rückflug wurde dann gut vorbereitet, Dada schluckte beruhigende Medikamente, und nach drei Wochen mußte nun zwar mit großem Bedauern, aber mit bester Laune die Heimreise angetreten werden. Schon während der Fahrt zum recht primitiven Flugplatz bezog sich der Himmel nach vielen schönen Sonnentagen mit dunklen Wolken . Jedoch während des Fluges wurde es auch auch draußen vor den Fenstern immer dunkler, bis plötzlich das Flugzeug anfing zu schwanken, Hagelkörner an die Scheiben schlugen und Blitze an den Fenstern vorbeiglitten. Aus dem ruhigen Dahingleiten war ein bedrohlicher Schaukelflug geworden. Der Pilot versuchte zwar,das Gewitter zu überfliegen, aber da das kleine Flugzeug keine Sauerstoff – Anlage hatte, waren ihm Grenzen gesetzt, zumal manche Passagiere schon Atemprobleme bekamen und die Stewardesse alle aufforderte, nicht die Augen zu schließen und zu schlafen. Sie hatte sonst kaum zu tun, da den meisten, ängstlich in ihren Sitzen zusammengesunken, der Appetit vergangen war. Nur ein älteres Ehepaar und Christiane vergnügten sich unbeirrt an all den besten der guten Sachen, die fast umsonst für diesen Flug vorbereitet worden waren. Doch schließlich kamen alle unversehrt und gut wieder in Deutschland und zu Hause an, und ihr Leben wurde bald wieder von den alltäglichen Anforderungen bestimmt .
10.Kapitel SCHMERZHAFTE ENTTÄUSCHUNG
Ohne große Verschnaufpause hatte sich das Leben wieder in den gewohnten Ablauf eingefügt. Arno war wieder im Dienst und tagsüber kaum zu Hause, und Christiane stromerte draußen herum. Dada war in der Küche beschäftigt, als sie durch das zur Straße hin geöffnete Fenster von unten her ihr Kind so furchtbar schreien und weinen hörte, wie sie es noch nie gehört hatte . Schreckerfüllt rannte sie nach draußen , wo ihr Christiane schon ihr blutüberströmtes Ärmchen entgegen hielt. Sie hatte hatte auf der angrenzenden Feldwiese gespielt, als ein Nachbarjunge seine stets draußen an seiner winzigen Hütte angekettete Dobermannhündin einmal dort laufen ließ, und die hatte von hinten zugebissen. Zum Glück hatte Arno gerade in der nahen Ambulanz Sprechstunde. Dort konnte Dada ihre Kleine trotz ihres schon beträchtlichen Babybauches tröstend auf den Schoß nehmen, die sich nun ohne jeden Widerstand die Wunden versorgen -, und sogar einige Rißwunden von ihrem Papi zunähen ließ . Bis zum Schulbeginn war alles wieder wunderbar zugeheilt und später verrieten kaum noch Narben die bösen Verletzungen .
11.Kapitel DIESMAL EIN KLEINES NEGERLEIN !
Nun war es November.- Aus Christiane war inzwischen eine aufgeweckte kleine Schülerin geworden, die den Eltern keinerlei Sorge bereitete. Dafür aber um so mehr das erwartete zweite Kind, das keinerlei Anstalten machte. auf die Welt zu kommen, obwohl die berechnete Zeit schon überschritten war.Auch eine Autofahrt über holprige Feldwege, dann sogar Injektionen zur Weheneinleitung , brachten keinerlei Erfolg Eine Klinikgeburt war unumgänglich geworden . So fuhr das Ehepaar am Wochenende zu einem befreundeten Geburtshelfer, Chef einer Klinik in Eisenach. Hier nochmals ein vergeblicher Versuch mit Wehenmitteln. Als Arno schließlich am Sonntag Abend mit dem Einverständnis zur Operation nach Hause fahren mußte, schlug der Chefarzt vor, man könne vielleicht noch ein Hausmittel versuchen - Rhizinus ! Dada akzeptierte es ohne Bedenken, denn sie hatte sich in der Hungerzeit nach dem Krieg mit dem Rhizinusöl aus dem Medikamentenschrank ihres Vaters heimlich Bratkartoffeln gebraten und hatte diese erstaunlich gut vertragen. Dann wurde es Nacht, es setzte Durchfall ein, und nun , mit seinen Begleiterscheinungen auch die Wehentätigkeit ! Gegen Morgen war es wirklich endlich so weit – ein kleines Mädchen , Franziska, war gesund zur Welt gekommen. Als es hell wurde, offenbarte der Blick nach draußen eine andere Neuigkeit : Es schneite in dicken Flocken, und der Schneefall hatte während der Nacht schon so heftig eingesetzt, daß der Verkehr über den Thüringer Wald bereits gesperrt werden mußte. Besuche aus der Rhön waren also nicht mehr möglich . Aber die Hebamme rief gleich am frühen Morgen in Unterbreizbach an, um dem glücklichen Vater zu gratuleren, während Arno gerade in Begriff war , Christiane vor der Sprechstunde noch schnell zur Schule zu fahren So konnte sie die frohe Botschaft nun gleich mithören, bei der von einem gesunden und ganz schwarzen kleinen Mädchen die Rede war, und daß es Mutter und Kind sehr gut gehe. Abends dann rief ihre Klassenlehrerin an: Sie wolle, inzwischen wohl auch im Namen des ganzen Dorfes,vielmals gratulieren! Christiane nämlich wäre heute Morgen ganz außer sich vor Freude in ihre Klasse gestürmt und habe begeistert gerufen : „ Ich hab‘ heute Nacht ein Schwesterchen gekriegt !“ Aber diesmal ist es ein kleines Negerlein !!“
12.Kapitel FRIEDELS HOCHZEIT IM HOTEL ADLON
Die sechs Merkerser Geschwister aber waren nun geteilt , drei DDR - , und drei BRD-Bürger , und seit dem Mauerbau am 13.August 1961 getrennt .Aber nun wollte Friedel heiraten, und das Familienleben sollte ja erhalten bleiben und gepflegt werden. Da war das jetzt ebenso geteilte Berlin , den Eltern seit ihrer dortigen Studienzeit sowieso zweite Heimat , in den Mittelpunkt gerückt. Das Hotel Adlon, 1907 gleich östlich hinter dem „Brandenburger Tor“ mit Unterstützung von Kaiser Wilhelm II. als modernstes und mondänstes Hotel Deutschlands von Lorenz Adlon gegründet, war 1945 bis auf einen Seitenflügel zwar abgebrannt, der aber wurde in der alten Ausstattung, auch mit einigen Hilfskräften dieser Zeit weitergeführt und war nach Errichtung der Mauer in die H O -Hotelkette der DDR eingegliedert worden . Doch „Adlon“ konnte immer noch vom alten Nimbus , etwas Besonderes für seine Gäste zu sein, einen Hauch bewahren. Seine gepflegt-familiäre Atmospäre wurde nun der Treff- und Mittelpunkt der zerstreuten Familie , und als Friedel ihren Studienfreund Pepe heiraten wollte , wurde die Hochzeit kurzerhand nach Berlin und die Feier ins Hotel Adlon verlegt. Hier trafen Friedel, die in Wolfsburg standesamtlich schon getraut wurde, mit Schwester Moni am Vortag ein, um das Fest vorzubereiten . Zuerst die kirchliche Trauung . Doch als sie die nächstgelegene Kirche erreichten, standen sie vor einer Ruine. Glücklicherweise waren da aber gerade kirchliche Amtsträger zugange , die sie an den Pfarrer der benachbarten „Golgatha – Kirche“ verwiesen. Und tatsächlich - der Pfarrer erklärte sich sofort bereit, die Trauung am nächsten Vormittag dort durchzuführen. Am Abend waren alle Gäste bereits angereist,hatten sich zum Abendessen im Restaurant des Hotels eingefunden und das Geschirr wurde schon abgetragen, als der Küchenleiter mit Beikoch in vollem Ornat , begleitet von den Kellnerinnen, zum Tisch kamen und das Brautpaar in den angrenzenden Küchenkomplex entführten . Ehe die verwunderten Gäste ihrem Erstaunen noch Ausdruck verleihen konnten , erschallte aus der Küche ein ohrenbetäubender Lärm , Klirren und Scheppern . Die Erklärung erfolgte erst, als die beiden Brautleute fröhlich und glücklich aus der Küche zurückkamen : Ihr Abendbrotgeschirr wurde heute Abend nicht abgewaschen , sondern in bester Laune zerdeppert, - denn, wenn das junge Paar seine Hochzeit schon nicht zu Hause feiern könnte, sollte ihnen wenigstens ein zünftiger Polterabend das große gemeinsame Glück sichern.
13.Kapitel DER TRAGISCHE TOD VON PETER R: Es war ein Montag, - der 6.Juli 1981.
Der damalige Ortsparteivorsitzende der SED (Sozialistische Einheitspartei der DDR) des Ortes Unterbreizbach war schon am frühen Morgen , vor der Öffnungszeit des Amtes , in seinem Dienstzimmer im Gemeindeamt, um einige Schriftsachen ungestört erledigen zu können, Er hörte, daß vorm Haus ein Auto hielt, sah nun, daß es ein Polizeifahrzeug war und daß zwei Verkehrspolizisten ausstiegen und ins Haus kamen. Dann klingelte es .
Da er noch allein im Amt war, öffnete er und erfuhr nun von den Polizisten, daß sie auf der Suche seien, um die Identität eines unbekannten .Toten zu klären. Der Polizei wäre kurz nach Mitternacht von einem Grenzoffizier, wohnhaft in Pferdsdorf, Dienststandort in Buttlar,der mit einem Motorrad in Richtung Vacha unterwegs gewesen sei, gemeldet worden, daß er auf der etwa fünfhundert Meter langen, geraden und übersichtlichen Verkehrsstraße, kurz vor Schacht 2 und Sünna, einen bewußtlosen Jugendlichen quer auf der Straße liegen sah. Im Gegenverkehr habe sich gerade ein Motorrad genähert , während er im Rückspiegel gesehen habe, daß sich von hinten ein PKW mit ziemlicher Geschwindigkeit näherte.. Daher wäre er links an dem Liegenden vorbei gefahren, habe gewendet und dem PKW entgegen als Warnsignal, auf dem Motorrad sitzend, auf- und abgeblendet.
Das Auto habe daraufhin zwar abgeblendet, verminderte aber seine Geschwindigkeit kaum. Da es dadurch nicht rechtzeitig zum Halten gebracht werden konnte, überrollte es das Unfallopfer und fuhr, ohne anzuhalten, weiter und davon. - Es wäre ein heller Trabant gewesen . - Da der Jugendliche aus Unterbreizbach stammen könnte, zeigte einer der Polizisten nun Günter Rudolph ein Foto des Unfallopfers : Er erkannte seinen eigenen, jüngsten Sohn Peter.
Mit zwei Freunden fuhr G.Rudolph umgehend zur Unfallstelle .Sie fanden im Abstand von wenigen Metern dort zwei Blutlachen auf dem Asphalt. Lag er schon verletzt auf der Straße? - Vor ihnen hatte die Spurensicherung schon die Plastesplitter eines Nebelscheinwerfergehäuses sichergestellt .
Man suchte und fand jetzt schnell einen dunkelgrünen Skoda, und konnte dessen Fahrer der Fahrerflucht überführen. Es war ein zweiundzwanzig Jahre junger Mann aus Vacha, der mit dem Auto seines Vaters eine Tanzveranstaltung in Kranlucken besucht hatte.
Es folgte die Reproduktion des Unfalls, zu welcher der als Zeuge geladene Grenzoffizier Klose aber nicht erschienen war, sondern dann erst aus Pferdsdorf geholt werden mußte . Er wurde am nächsten Tag nach Erfurt versetzt . Am 11.Sept.1981 fand in Bad Salzungen die Gerichtsverhandlung gegen den Unfallverursacher statt. Die Familie Rudolph hatte die mit ihnen befreundete D.Nennstiel mit der Pflichtverteidigung betraut. Sie begann ihr Plädoyer wie folgt :
In der Nacht vom 6. zum 7. Juli dieses Jahres wurde ein junger Bürger unserer Gemeinde aus seinem hoffnungsvollen Leben gerissen, wurde das Glück seiner Familie für immer tiefgreifend gestört .
Peter Rudolph stand als Auswahltorwart der Fußballjugend und als DRK – Helfer mitten im gesellschaftlichen Leben. - Ich selber habe ihn als hilfsbereit und zuverlässig schätzen gelernt, ob es nun um die Übernahme einer Theaterrolle , oder um Kohlenhereinschippen ging.
Aber nicht nur die Fassungslosigkeit über seinen Tod, sondern die Skrupellosigkeit, der Peter zum Opfer fiel, bewegt und erregt die Menschen unseres Ortes , und sicher nicht nur diese .
Folgendes Unfallgeschehen vom 6.Juli 1981 wurde ermittelt:
Der 17-jährige Peter Rudolph verabschiedete sich gegen 23.30 Uhr an der Bushaltestelle in Borsch nach einer Tanzveranstaltung von seiner Freundin. um nach Unterbreizbach nach Hause zu laufen , in der Hoffnung, als Anhalter irgendwann mitgenommen zu werden . Ein erster angehaltener Grenzsoldat durfte ihn auf Dienstfahrt nicht mitnehmen, aber dann nahm ihn ein Mopedfahrer bis nach Buttlar mit. Beide sagten aus, daß Peter nicht betrunken und gesund gewesen sei und unaufdringlich gewunken habe. Kurz vor Mitternacht wurde er dann von Offizier Klose , bewußtlos auf der Straße liegend, gefunden, während sich aus Richtung Vacha ein zweites Motorrad mit dem Mitarbeiter des Kraftverkehrs, Marr, näherte, den Unfall verfolgte und der später allerdings aussagte, Klose habe am Straßenrand gegenüber,bei abgestelltem Motor, neben seinem Krad stehend, geblinkt.
Ein nachfolgender Pkw , der auf das Blinken zwar abgeblendet, aber kaum die Geschwindigkeit verringert hatte, und daher, trotz der festgestellten 6,1 m langen Blockier- , und 6,o m langen Schleuderspur nicht rechtzeitig zum Anhalten gebracht werden konnte. überrollte nun den Bewußtlosen, der etwa eineinhalb Meter durch die Luft zur Seite geschleudert wurde. Klose verließ jetzt den Unfallort, wo nun Marr verblieb , und fuhr selbst, um den Unfall zu melden . Aber nicht zu dem in Sichtweite liegenden Schacht 2 , sondern zu seinem Standort in Buttlar, von wo er erst nach ungefähr zwanzig Minuten zurückkehrte.
Der geflüchtete Fahrer war nach Hause gefahren, wechselte den beschädigten Scheinwerfer aus und fuhr zum Tanz nach Kranlucken zurück, zweimal vorbei am Unfallort ,wo er anhielt , nicht etwa, um sich zu stellen, sondern wo er sich nach dem dort Geschehenen erkundigte.
Am nächsten Morgen am Arbeitsplatz äußerte er bei Diskussionen: „Das Schwein müßte man aufhängen !“
Die Autopsie ergab , daß durch die schwere Gehirnzerstörung der Tod sofort eingetreten sei. Die Straftat „Unterlassene Hilfeleistung“ entfiel damit. Doch warum lag Peter bewußtlos auf der Straße? Schockmerkmale, welche im Blut festgestellt wurden, können sich nicht erst nach dem Tod gebildet haben .
Es war aber nicht nachzuweisen, ob die Zertrümmerung des Schädels durch nur einen oder eventuell zwei Unfälle verursacht wurde. Andere Verletzungen aber konnten nicht nachgewiesen werden.
Peter könnte von einem Fahrzeug abgerutscht und hinterrücks auf die Fahrbahn geschlagen sein ? Kam Offizier Klose eventuell nicht zufällig am Unfallort vorbei, sondern war er dort vorher bereits Zeuge eines Unfalls?
Diese Frage an ihn konnte nicht gestellt werden, denn auch zur Gerichtsverhandlung fehlte er unentschuldigt. Ein Besucher hatte ihn allerdings im Erdgeschoß des Gerichts gesehen, wie er nach Erfurt zurückgeschickt wurde, weil er nicht benötigt würde. Sein Wissen war offenbar nicht gefragt. Auch kam die zweite Blutlache gar nicht zur Sprache.
Die Urteilsverkündung wurde vertagt , das spätere Urteil dann zur Bewährung ausgesetzt. Eine von Familie Rudolph beantragte Kassation wurde abgelehnt.
14.Kapitel EIN FAHRRADUNFALL AM FREIEN SONNTAG
Inzwischen hatte Arno von seinem Nachbarn sein erstes Auto, einen mehrere Jahre alten „Wartburg“, zu einem damals ungewöhnlichen fairen Preis kaufen können, hatte es in die Garageneinfahrt gestellt, und war an seinem freien Wochenende nun gerade bei der ersten Autowäsche, als oben in der Wohnung das Telefon klingelte und dann eine aufgeregte Patientin Dada beschwor :“ Der heute diensthabende Arzt ist zu einem dringenden Hausbesuch unterwegs und nicht erreichbar. Meine Tochter ist aber gerade mit dem Fahrrad schwer gestürzt! “ Als sie nachfügte: „Sie ist über die Lenkstange gefallen und hat jetzt große Schmerzen im Bauch – kann Ihr Mann sofort herkommen??“ , da schrillten bei Dada schon die Alarmglocken , - die nicht seltene Kombinon Lenkstangenunfall und Milzriß wäre möglich.
„Er kommt sofort“,beruhigte sie die Mutter, und auf ihren Zuruf setzte sich auch Arno, wie er war , in seinen Arbeitsklamotten in sein triefendes Auto und fuhr nach Pferdsdorf Die Untersuchung des Kindes bestätigte den Verdacht .Er konnte den neuen Chefarzt des Vachaer Krankenhauses zu Hause in Vacha erreichen und informieren und als in Bad Salzungen der Krankenwagen nicht sofort verfügbar war, fuhr er das Mädchen umgehend ins Krankenhaus, wo Dr. Hanf eine Operation schon vorbereitet hatte. Alles endete nun gut.
-Fortsetzung folgt -
Meine Eltern Magda und Dr. Günther Deilmann
In Merkers in Merkers - Die Nennstiele
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Ehrenbürger Kreyenberggemeinde
Der 4. Mai 1945 in Osthessen News am 6.7.2008
Günther Deilmann in "Freiheit und Demokratie
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